Austausch zwischen Archiven und Geschichtswissenschaft
Noch 2020 beklagten Kiran Klaus Patel, Professor für Europäische Geschichte an der LMU und Frank Bischoff, Präsident des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen, in einem Aufsatz das „Schweigen zwischen Geschichtswissenschaft und Archiven im digitalen Zeitalter“.¹ Inzwischen tauschen sich Archive und Geschichtswissenschaft verstärkt über die digitale Transformation aus, durch die sich neue Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen für Archive und Digital History bieten und stellen. Nicht zuletzt das Konsortium NFDI4Memory fungiert dabei als wichtige Kommunikationsplattform und als gemeinsames Handlungsfeld. Bereits kurz nach Start des Konsortiums im Juni 2023 widmete sich das 27. Archivwissenschaftliche Kolloquium unter dem Titel „Archivists meet Historians – Transferring source criticism to the digital age“ dem gemeinsamen Querschnittsthema der digitalen Quellenkritik.²
Auf der ersten „Linking Data|Linking Communities“ 4Memory Summer School, die organisiert vom Landesarchiv Baden-Württemberg vom 24. bis 26. September 2024 in Stuttgart veranstaltet wurde, ging es um die Schnittstellen zwischen Archivwesen und Digital History. Drei Tage lang diskutierten fast 30 Personen über digitale Methoden und Use Cases in Archivwesen und Digital History, durch das Programm führten Kai Naumann und Timo Holste (Landesarchiv Baden-Württemberg). Versammelt waren in Stuttgart Repräsentantinnen und Repräsentanten der GLAM-Einrichtungen, der historischen Forschung und von Ausbildungseinrichtungen für Archive.
Den Auftakt der Veranstaltung bildete die Keynote, in der Björn Beck (Staatsministerium Baden-Württemberg) unter dem Titel „KI - Gamechanger für die Verwaltung?“ am Beispiel der Justiz Baden-Württemberg darstellte, wie KI in Massenverfahren der Justiz und Verwaltung in Baden-Württemberg eingesetzt wird und welche disruptiven Effekte sich aus dem KI-Einsatz ergeben werden.
Der zweite der Tag der Summer School startete mit der Präsentation von Nico Beyer und Felix Gericke (Freie Universität Berlin/ EMILiA-Projekt), die den Teilnehmenden unter dem Titel „EMILiA: Was benötigen die Forschenden? Entwicklung einer Software für die Archivierung und Nutzbarmachung von E-Mails“ Einblicke in die Entwicklung eines Tools zur Übernahme, Bewertung, Erschließung und Auswertung von E-Mails gewährten. Maximilian Stimpert und Johannes Haslauer (Staatsarchiv Bamberg) präsentierten unter dem Titel „Forschung an Archivalien – Archivische Erschließung & Digital Humanities“ Erfahrungen aus dem durch die 4Memory Incubator Funds finanzierten Projekt „Hands-on Normdaten! Use Case zur communityorientierten, ressourceneffizienten und kreativen Implementierung der Gemeinsamen Normdatei (GND) in den Erschließungsworkflow einer staatlichen Archivverwaltung am Beispiel Bayerns“. Anhand eines Use Cases inszenierten die beiden einen archivisch-akademischen Dialog über die Vorteile, die die Anreicherung archivischer Findmittel mit der GND im Kontext der Digital History bietet. Andreas Nestl und Michael Unger (Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns) sowie Kai Naumann (Landesarchiv Baden-Württemberg) sprachen sodann über das in den Digital Humanities bislang weniger bekannte Thema „Archivische Bewertung - was ist das und wo stehen wir?“. Dabei führten die Referenten nicht nur in die Grundlagen der archivischen Bewertung ein, sondern stellten überdies diverse Tools zur automatisierten Bewertung von Verwaltungsschriftgut aus ihren Häusern vor. Den Abschluss des zweiten Veranstaltungstags bildete die Präsentation von Markus Gerstmeier (Universität Passau) zum Thema „Lernorte an Schnittstellen von Geschichtsforschung, Archiv und Digitalisierung. Praxisnahe akademische Lehre anhand aktueller Kooperationsprojekte des Passauer Lehrstuhls für Digital Humanities“. Im Rahmen seiner Präsentation zeigte Gerstmeier die Potentiale auf, die gemeinsame Lehrveranstaltungen von Archiveinrichtungen und Digital History-Professuren für die Ausbildung der Studierenden haben können.
Der dritte Veranstaltungstag begann mit dem Vortrag von Roman Kuhn (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz) zum Thema: „Stabi Lab. Partizipative und explorative Zugänge zu den Sammlungen der Staatsbibliothek zu Berlin“. Kuhn erweiterte die Perspektive auf das Bibliothekswesen. Er berichtete über die Erfahrung der Staatsbibliothek zu Berlin bei der Bereitstellung von ausgewählten Datensätzen sowie von darauf aufbauenden innovativen Anwendungen und Prototypen in einer experimentellen Lab-Umgebung. Den Abschluss der Summer School bildete eine Roundtable-Diskussion. Unter der Moderation von Kai Naumann (Landesarchiv Baden-Württemberg) diskutieren Irmgard Christa Becker (Archivschule Marburg), Torsten Hiltmann (Humboldt-Universität zu Berlin), Micky Lindlar (TIB – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften und Universitätsbibliothek) und Kristina Starkloff (Archiv der Max-Planck-Gesellschaft) über die Ergebnisse der Summer School und über die Möglichkeiten von GLAM-Einrichtungen und Forschung, die digitale Transformation der Geschichtswissenschaften und des Archivwesens gemeinsam zu gestalten.
Die nächste „Linking Data|Linking Communities“ 4Memory Summer School findet 2025 am Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung – Institut der Leibniz-Gemeinschaft in Marburg statt. Das Format bietet damit weiterhin eine wichtige Plattform für den Austausch und die Zusammenarbeit von Vertretern der verschiedenen Communitys und kann an wertvolle Impulse der Auftaktveranstaltung anknüpfen.
Nachweise:
¹ Frank M. Bischoff/Kiran Klaus Patel, Was auf dem Spiel steht. Über den Preis des Schweigens zwischen Geschichtswissenschaft und Archiven im digitalen Zeitalter, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 17 (2020), H. 1, URL: https://zeithistorische-forschungen.de/1-2020/5822, DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-1766
² https://www.archivschule.de/DE/forschung/archivwissenschaftliche-kolloquien/27-archivwissenschaftliches-kolloquium.html; Kai Naumann, Geschichtswissenschaft trifft Archivwesen, in: ABI Technik 44/1, S. 63 – 65,
URI: https://resolver.scholarsportal.info/resolve/07206763/v44i0001/63_gta.xml, DOI: https://doi.org/10.1515/abitech-2024-0008