In öffentlichen Sammlungen und auf dem Kunstmarkt finden sich kulturhistorisch wertvolle Gegenstände, die selbst keine Hinweise auf die Personen tragen, denen sie durch das NS-Regime entzogen worden waren. Zwar besteht die Möglichkeit, dass sich bei der Stelle, die ein Objekt aktuell verwahrt, Unterlagen mit Anhaltspunkten über dessen Herkunft finden. Aber oft genug fehlt ein aussagekräftiger Überlieferungskontext. Ein Anlass für solche Störungen in der Überlieferung sind beispielsweise die so genannten Erwerbungen ‚aus zweiter Hand‘. In diesen Fällen wechselten Gegenstände nach ihrer „Arisierung“ erneut den Besitzer und wurden von der aktuell verwahrenden Stelle aus den Händen von Profiteuren des NS-Kunstraubs erworben.
Um den Rechercheaufwand zu begrenzen, wird vor Beginn der Untersuchungen in der archivalischen Überlieferung empfohlen, die „Suchmeldungen“ in einschlägigen Datenbanken auf eine etwaige Nennung des fraglichen Gegenstands zu überprüfen:
Lost-Art-Datenbank
Website der Commission for Looted Art in Europe
Datenbank des österreichischen Nationalfonds
Amtliche und nichtamtliche Unterlagen
Das staatliche Archivgut ist eine Möglichkeit, Anhaltspunkte auf die Opfer der „Arisierung“ eines bestimmten Gegenstands zu finden. Es enthält überwiegend Behördenschriftgut.
Davon zu unterscheiden sind nicht-amtliche Unterlagen aus Privathand (Briefe, Fotos, Geschäftsunterlagen gewerblicher Betriebe). Solche finden sich seltener in Staatsarchiven. Für ihre Verwahrung kommen auch zahlreiche nicht-staatliche Archive in Betracht. Beim Kunsthandel beispielsweise ist an die Wirtschaftsarchive oder das Zentralarchiv des internationalen Kunsthandels (ZADIK) zu denken.
An dieser Stelle können lediglich Hinweise zu Recherchen in behördlicher Überlieferung formuliert werden. Sie unterliegen einer wichtigen inhaltlichen Einschränkung: Private Eigentumsverhältnisse lassen sich in amtlichem Schriftgut nur insoweit fassen, als dass sie einen Bezug zu Verwaltungshandeln aufweisen. In dieser Hinsicht sind vor allem die Unterlagen aus der Geschäftstätigkeit staatlicher Kulturgut verwahrender Einrichtungen einschlägig. Dies nicht nur, weil öffentliche Museen, Bibliotheken und Archive Gegenstände aus Privathand erworben haben können und möglicherweise in ihren Beständen verwahren. Diese Stellen sind auch Träger wissenschaftlicher Fertigkeiten, die sie in der NS-Zeit bei der Identifizierung, Bewertung und „Verwertung“ kulturhistorisch wertvoller Gegenstände zu gefragten Ansprechpartnern machten. Jenseits der Kultusverwaltung kommen ebenfalls mehrere Umstände in Betracht, derentwegen behördliche Unterlagen private Eigentumsverhältnisse belegen: So können staatliche Stellen einschlägige Dokumente in Verwahrung genommen haben (z. B. Testamente, Eheverträge). Ferner weisen Unterlagen bestimmter Behörden staatliche Eingriffe in Privateigentum (z. B. Beschlagnahmungen) oder Maßnahmen zur Verwirklichung von Eigentumsrechten (Rückerstattung, ‚Wiedergutmachung‘) nach.
Systematische Recherche in Einzelfall- und Sachakten
Die Recherchen nach den Voreigentümern eines kulturhistorisch wertvollen Gegenstands in staatlichem Archivgut unterliegen mehreren Bedingungen:
1. Die vorhandene Überlieferung bezieht sich mehrheitlich auf einen bestimmten geografischen Raum (Sprengel).
2. Behördenschriftgut gliedert sich – vereinfacht gesprochen – in Sachakten und Einzelfallakten.
3. Die Erschließung des Archivguts reicht meist nicht so tief, dass in den Findmitteln einzelne Gegenstände genannt sind.
Der unterschiedliche inhaltliche Zuschnitt des Schriftguts verweist auf zwei Vorgehensweisen: Einzelfallakten belegen gleichförmige Verwaltungsverfahren in Bezug auf unterschiedliche natürliche oder juristische Personen. Sie können anhand der Namen derjenigen recherchiert werden, auf die sich der Inhalt der Akte bezieht. Sie können aber auch für Recherchen herangezogen werden, in denen der Name einer Person überhaupt erst ermittelt werden soll. Das setzt voraus, dass sich die Untersuchungen auf die Vorgänge in einem bestimmten Ort eingrenzen lassen. Die bei den Behörden an dem betreffenden Ort entstandenen Akten werden dann auf eine Nennung des fraglichen Gegenstands hin durchgesehen.
Aufwendiger ist die Recherche in umfangreichen Serien von Einzelfallakten aus Behörden mit landesweiter Zuständigkeit (z. B. Bestand 480 Landesamt für die Wiedergutmachung). Weil nicht für jedes Archivale eine Ortsangabe in den Erschließungsinformationen erfasst ist, muss ein Zwischenschritt erfolgen, um die Stichprobe möglicherweise einschlägiger Akten geografisch einzugrenzen. Anhand der Sekundärliteratur (z. B. der zentralen Datenbank der Namen der Holocaustopfer oder des Gedenkbuchs "Die Opfer der nationalsozialistisches Judenverfolgung in Baden-Württemberg 1933 – 1945. Ein Gedenkbuch, herausgegeben von der Archivdirektion Stuttgart, Stuttgart 1969) ist zu ermitteln, wer an einem Ort von NS-Repressalien betroffen war. Anschließend kann mit Hilfe der archivischen Findmittel geprüft werden, zu wem eine Einzelfallakte überliefert ist. In den nachweisbaren Akten wäre dann dem fraglichen Objekt nachzugehen. Für den Bestand 276-1 Amtsgericht Mannheim: Schlichter für Wiedergutmachung wurde auch der Gegenstand des Verfahrens in den Erschließungsinformationen erfasst. Damit lassen sich auf bestimmte Objekte oder Objektgruppen (z. B. „Gemälde“) bezogene Stichproben bilden.
In Sachakten ist der Geschäftsanfall einer Behörde in Form von Vorgängen geordnet nach bestimmten Sachzusammenhängen niedergelegt. Unter welchen Umständen kulturhistorisch wertvolle Gegenstände in Behördenschriftgut erwähnt sein können, wurde weiter oben skizziert. Demnach lassen sich für die jeweilige Recherche einschlägige Unterlagen feststellen, indem der Kenntnisstand zur Geschichte eines Objekts in Beziehung gesetzt wird zu den historischen Zuständigkeiten einzelner Behörden. Deuten die Umstände etwa auf den Bezug zu einem bestimmten Ort hin (z. B. das Vorhandensein in einem Heimatmuseum), kann zunächst in den Beständen der dort ansässigen Unterbehörden (Landratsämter, Finanzämter, Amtsgerichte) recherchiert werden. Möglicherweise wurde der Gegenstand polizeilich beschlagnahmt, beim Finanzamt als Vermögenswert angemeldet oder nach dem Ende des NS-Regimes an einer der Stellen ein Rückerstattungsanspruch geltend gemacht.
Lässt sich der räumliche Bezug nicht konkreter fassen als der Sprengel des Staatsarchivs, in dem recherchiert werden soll, besteht die Möglichkeit, in ‚Leitbeständen‘ zu recherchieren. Darunter sollen hier solche Bestände verstanden werden, die eine besonders hohe Dichte an Nennungen kulturhistorisch wertvoller Gegenstände aufweisen oder die aus Behörden mit einschlägiger landesweiter Zuständigkeit herrühren. Für die badische Überlieferung trifft beides beispielsweise auf die Unterlagen aus dem Bestand 441-3 Staatliche Kunsthalle Karlsruhe zu. Darin ist neben der Arbeit dieser Einrichtung auch die Geschäftstätigkeit der „Generaldirektion der oberrheinischen Museen“ belegt. Sie leitete nach der deutschen Besetzung des Elsass die museale Tätigkeit einschließlich der Begutachtung beschlagnahmter Objekte und der Ankäufe für die öffentlichen Sammlungen im badischen und französischen Oberrheingebiet.
Je nach Art des Objekts kommen aber auch die Bestände anderer Landeseinrichtungen in Betracht. Beispielsweise profitierte die Badische Landesbibliothek von der Plünderung privater Buchbestände. Das Badische Generallandesarchiv und das Gauarchiv der NSDAP konkurrierten bei der Erwerbung von Schriftgut aus Privathaushalten, Vereinen und jüdischen Gemeinden. Auch außerhalb der Kultusverwaltung lassen sich entsprechende Aktivitäten nachweisen, etwa bei der Staatlichen Münze Karlsruhe. Welche Einrichtungen für welche Objektgruppen zuständig waren, wird in den Einträgen im sachthematisches Inventar "Kunstraub und ‚Arisierung‘ 1933 – 1945" erläutert.