Biographische Zeugnisse südwestdeutscher Literaten aus neun Jahrhunderten
Dichter im Leben.
Einführung
Der Teufel soll die DichtereiBeim Hemderwaschen holen!
So schimpfte Friedrich Schiller in einem Brief an seinen Freund Christian Gottfried Körner in Dresden über die leidigen Alltagszwänge und seine nervige Umgebung, die ihn gerade vom Wesentlichen, seiner dichterischen Arbeit, abhielten. Um diese Alltagszwänge, die Zeitumstände und die gesellschaftliche Einbindung von Literaten drehte sich die Ausstellung im Rahmen des Schiller-Jahres. Friedrich Schiller selbst war ein zentraler Platz in der Ausstellung gewidmet, die 12 südwestdeutsche Dichter aus 9 Jahrhunderten anhand biographischer Zeugnisse vorstellte.
Die beispielhaft ausgewählten Dichter werden hier in 6 chronologisch angelegten Kapiteln präsentiert. Neben ihrer allgemeinen Bekanntheit spielte bei der Auswahl vor allem die Überlieferung des Hauptstaatsarchivs Stuttgart eine Rolle: Es sollten authentische Zeugnisse im Mittelpunkt stehen, die von den Literaten selbst geschaffen oder zumindest veranlasst oder gebraucht wurden. Texte, Bilder, Schreibwerkzeuge künden von ihrer schreibenden Betätigung im Alltag. Es sollte und konnte angesichts der Bestände des Hauptstaatsarchivs freilich nicht vorrangig um die Werke und die Dichtkunst der Poeten gehen, sondern um biographische Dokumente, die während ihres alltäglichen Umgangs "im richtigen Leben" entstanden - von der Urkundenausstellung eines staufischen Kaisers, über persönliche Korrespondenzen eines Humanisten bis zu profanen finanziellen Bittgesuchen eines berühmten Zeitgenossen.
Jedes einzelne Dokument sollte einen kleinen Ausschnitt aus einem Dichterleben beleuchten, um eine Annäherung an die damit erhellte Lebenssituation zu gestatten. Die Dokumente werden eingebunden in die biographischen Zusammenhänge und stehen damit natürlich oft in enger Beziehung zu den dichterischen Werken unserer Protagonisten. "Dichter im Leben" ist nicht ohne "Dichter und Dichtung" denkbar, der biographische Aspekt der Literaten allerdings soll hier seine eigene Spannung bieten.
Zwei Minnesänger des hohen Mittelalters
Mit Kaiser Heinrich VI. und Graf Albrecht II. von Hohenberg werden zwei der bekanntesten Minnesänger des 12. und 13. Jahrhunderts im deutschen Südwesten vorgestellt. Sie sind mit Bild und Werken aufgenommen in die berühmte Manessesche Liederhandschrift und repräsentieren die erste Blütezeit der weltlichen Dichtkunst im hohen Mittelalter.
Heinrich VI. (1165-1197) wurde bereits 1167 zum deutschen König gewählt und erhielt 1184 die Ritterweihe. Nach dem Tod seines Vaters Friedrich Barbarossa wurde er 1191 zum Kaiser gekrönt. Durch seine Heirat mit Konstanze, Tochter König Rogers II. von Sizilien, war sein politisches Programm auf die Einverleibung des Königreichs Sizilien in seine Herrschaft hin ausgerichtet, was schließlich 1194 glückte. Damit führte er das Stauferreich auf den Höhepunkt seiner Geltung.
Die präsentierte Urkunde steht beispielhaft für die Regierungsgeschäfte des Kaisers. Er hielt sich im Januar 1194 für längere Zeit mit seinem Hof in Würzburg auf, wo er auch eine Reihe von Privilegien gerade für Zisterzienserklöster ausstellte, darunter diese Urkunde für Maulbronn. Anschließend begab er sich zum Hoftag nach Mainz, bevor er seinen Zug nach Sizilien rüstete.
Albrecht II. von Hohenberg oder Haigerloch (um 1235-1298) war einer der getreuesten Gefolgsleute König Rudolfs von Habsburg und wurde 1274 Landvogt von Niederschwaben. Er stand damals in heftiger Konkurrenz mit Graf Eberhard I. von Württemberg, die erst nach dem Tod Rudolfs von Habsburg 1291 durch eine Eheverbindung ihrer Kinder beigelegt wurde. Albrecht fiel 1298 vor der Burg Leinstetten im Kampf gegen Herzog Otto III. von Niederbayern, den er aus Solidarität mit dem Haus Habsburg aufgenommen hatte.
Zum Zeitpunkt seiner Urkundenausstellung in der Reichsstadt Esslingen für die Zisterze Bebenhausen stand Albrecht auf dem Höhepunkt seiner Macht. Hier kommt auch seine enge Verwandtschaft mit den Pfalzgrafen von Tübingen, einem weiteren mächtigen Adelsgeschlecht, zum Ausdruck. Gemeinsam mit diesen unterstützt Albrecht nun das aufstrebende Kloster Bebenhausen, eine Gründung der Tübinger. Besonders repräsentiert sein filigran ausgearbeitetes Reitersiegel sein adeliges Herrschaftsbewusstsein, worin der Einsatz für König und Reich eine wesentliche Rolle spielte.
Zwei Dichter am Rottenburger Musenhof
Hermann von Sachsenheim und Georg von Ehingen gelten als zwei der bekanntesten spätmittelalterlichen Dichter im Umfeld der Grafen von Württemberg. Besondere Bedeutung für die literarische Kultur besaß um die Mitte des 15. Jahrhunderts der "Musenhof" der Gräfin Mechthild in Rottenburg. Mechthild (1419-1482) stammte aus dem Hause Wittelsbach und wuchs am Heidelberger Hof auf, einem literarischen Zentrum im deutschen Südwesten. Nach dem Tod ihres ersten Mannes Graf Ludwig von Württemberg 1450 vermählte sie sich mit Erzherzog Albrecht VI. von Österreich. Als auch dieser 1463 verstarb, hielt sie in ihrem Witwensitz in Rottenburg am Neckar Hof. Hier wirkte Mechthild als Mäzenin von Dichtern und anderen Künstlern. Die höfisch-ritterliche Literatur erlebte in ihrem Umfeld eine Renaissance, zu der vor allem Hermann von Sachsenheim und Georg von Ehingen beigetragen haben. Hermann von Sachsenheim widmete ihr seinen parodistischen höfischen Roman "Die Mörin", der sich auch inhaltlich auf Mechthild und ihren Hof bezieht; Georg von Ehingen wirkte damals als ihr Kämmerer.
Hermann (um 1368-1458) nannte sich nach dem Stammsitz seiner Familie in Sachsenheim, nördlich von Stuttgart. Er stand mit einer weitläufigen Verwandtschaft im Dienst der Grafen von Württemberg und ist als württembergischer Rat, Vogt zu Neuenbürg und Richter in Stuttgart bezeugt, wo er zeitweilig auch wohnte und Besitz erwarb. Nach eigenen Aussagen hatte er an den wichtigsten Universitäten Europas wie Paris und Prag studiert; jedenfalls war er auch juristisch gebildet und ein bedeutender Mann in der württembergischen Verwaltung. Seine Dichtkunst ist erst für seine letzten Lebensjahre im Umfeld des "Rottenburger Musenhofs" bezeugt.
Wie Hermann von Sachsenheim war auch Georg von Ehingen (1428-1506) in württembergischen Diensten aufgestiegen und galt dann als einer der fähigsten Berater Graf Eberhards im Bart, des Sohnes von Gräfin Mechthild. Für diesen erledigte er des öfteren besondere diplomatische Aufgaben, etwa die Brautwerbung für den Grafen um Barbara Gonzaga von Mantua oder, wie gezeigt, als Testamentsvollstrecker. Zuvor stand er im Dienst der Herzöge von Österreich am Innsbrucker Hof, anschließend war er Kämmerer Gräfin Mechthilds. 1453 erhielt er in Prag den Ritterschlag. Zwei Reisen führten ihn fast bis an die Enden der christlichen Welt: ins Heilige Land, nach Ägypten und Nordafrika, nach England, Spanien und Portugal. In seinem Reisebericht beschreibt er unter dem Titel "Zwei Reisen nach der Ritterschaft" seine Abenteuer und Kämpfe gegen die Heiden.
"Poeta laureatus" und "Württemberger Minerva"
Zwei unterschiedliche Gestalten repräsentieren die südwestdeutsche Literatur des Humanismus und des Frühbarock im 16. und 17. Jahrhundert: Nicodemus Frischlin (1547-1590), der berühmte Tübinger Universitätsprofessor und gekrönte Dichter, und Herzogin Antonia von Württemberg (1613-1679), hochgebildete Literatin und Mäzenatin.
Die Biographie Frischlins ist besonders wegen seines tragischen Endes aufsehenerregend, das einen kurzen aber tiefen Blick in die Geistes- und Herrschaftswelt des beginnenden Absolutismus werfen lässt. Nicodemus Frischlin hatte als lutherischer Pfarrersohn in Balingen, Tübingen und dann in den Klosterschulen von Königsbronn und Bebenhausen eine intensive Ausbildung genossen, bevor er 1562 in die Universität Tübingen eintrat, um Theologie zu studieren. Von 1567 bis 1582 war er dort außerplanmäßiger Professor für Geschichte und Poetik; seine Sprachkenntnisse und Beherrschung aller literarischen Gattungen erbrachten ihm bald große Anerkennung. Im Oktober 1576 wurde er mit seinem alttestamentarischen Stück "Rebecca" gar zum "Poeta laureatus" gekrönt. Frischlins laut verkündete Kritik am württembergischen Adel führte 1582 bereits zum Hausarrest durch Herzog Ludwig. Im gleichen Jahr begab er sich als Schulrektor nach Krain (heute Slowenien) und anschließend auf zahlreiche Reisen durch deutsche Städte, an Fürstenhöfe und Universitäten auf der Suche nach einer Anstellung. Schließlich wurde Frischlin wegen weiterer Schmähschriften gegen die württembergischen Räte im April 1590 auf der Burg Württemberg, dann in der Festung Hohenurach eingekerkert. Sein Fluchtversuch im November 1590 endete tödlich.
Herzogin Antonia von Württemberg, wegen ihrer Geistesbildung von Zeitgenossen als "Württemberger Minerva" bezeichnet, repräsentiert in besonderer Weise die Nähe, die gerade auch zahlreiche weibliche Vertreter des Hauses Württemberg zu Literatur und Kunst verkörpern. Antonia war neben der Malerei vor allem an Philosophie und Sprachen interessiert. Ihre besondere Vorliebe galt dem Hebräischen und der jüdischen Kabbala. Ihr Leben wurde überschattet von der Not des Dreißigjährigen Krieges, die mit einem zeitweiligen Exil ihrer Familie verbunden war. Erst 1638 konnte Antonias Bruder, Herzog Eberhard III., die Regierung in Württemberg wieder antreten.
Soweit möglich, widmete sich Antonia gemeinsam mit ihren beiden Schwestern Anna Johanna und Sybilla den Künsten und Wissenschaften. Als ihr "Lebenswerk" gilt die sogenannte "Lehrtafel" für die Dreifaltigkeitskirche in Bad Teinach, die Eberhard III. von 1662 bis 1665 für die herzogliche Familie erbauen ließ. Dieser hochgelehrt angelegte Bilderschrein zeugt von ihrer theologisch-philosophischen Beschäftigung und ihrem Wissen um die jüdische Kabbala und die altchristliche Überlieferung und Mystik. Er verblieb zunächst in ihrer Nähe in Stuttgart, bevor er im Chorraum der Teinacher Stadtkirche aufgestellt wurde. Während Antonias Leib nach ihrem Tod 1673 in der Stuttgarter Stiftskirche bestattet wurde, ruht ihr Herz ihrem Wunsch gemäß bei ihrer Lehrtafel in Teinach.
Ein junger Klassiker
Friedrich Schiller wurde am 10. November 1759 als zweitältestes Kind des Leutnants Johann Kaspar Schiller (1723-1796) und seiner Ehefrau Elisabeth Dorothea (1732-1802) in Marbach am Neckar geboren. Er besuchte die Ludwigsburger Lateinschule und war für die theologische Laufbahn vorgesehen. Auf Wunsch Herzog Carl Eugens wurde er am 16. Januar 1773 zum Studium der Rechte in die Hohe Karlsschule aufgenommen. Nach zweijährigem Jurastudium wechselte Schiller 1776 mit weiteren Karlsschülern zum Studium der Medizin über. Während des Medizinstudiums begann seine dichterische Laufbahn; er dichtete auch anlässlich der Jahresfeste der Karlsschule und zu den Namens- und Geburtstagen von Franziska von Hohenheim, der damaligen Mätresse des Herzogs. Im Jahr 1780 schloss er das Medizinstudium mit einer Dissertation "Versuch über den Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen" ab, die auch gedruckt wurde. Am 15. Dezember 1780 wurde er aus der Karlsschule entlassen und zum Regimentsarzt beim Grenadierregiment des Generals Augé in Stuttgart bestellt. Nach dem Verbot des Herzogs, "Komödien" zu schreiben, plante Schiller seine Flucht aus Stuttgart. Während eines Festes Carl Eugens floh Schiller zusammen mit einem Freund in der Nacht vom 22. auf 23. September 1782 nach Mannheim. Bald kam seine Dichterkarriere in Schwung, verbunden mit der entsprechenden gesellschaftlichen Anerkennung: 1784 wurde Schiller zum herzoglich-weimarischen Rat ernannt, 1789 folgten die Berufung zum Professor an der Universität Jena und weitere berufliche und persönliche Ehrungen. Friedrich Schiller verstarb am 9. Mai 1805 in Weimar.
Die präsentierten Stücke bieten einen kurzen Einblick in die Jugend Schillers an der Hohen Karlsschule und sein Stuttgarter Umfeld. Sie beziehen sich zunächst auf seine körperliche Erscheinung, seine Körpergröße und Gestalt. Sein Betragen in der Karlsschule, seine dortige Ausbildung und Beschäftigung werden dokumentiert. Und auch seine persönliche Vorliebe für Franziska von Hohenheim kommt dichterisch deutlich zum Ausdruck.
Zwischen Klassik und Biedermeier
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), zehn Jahre älter als Schiller, sollte diesen lange überleben. Selbst bereits vor und mit Schiller prägend für die deutsche Literatur des "Sturm und Drang" und der "Klassik" hat er bis weit ins 19. Jahrhundert hinein die literarische Szene dominiert, die sich in Romantik, Vormärz und Biedermeier weiterentwickelte.
In Frankfurt geboren, führten Goethe seine Studienjahre nach Leipzig und Strassburg, danach wirkte er als Anwalt in Frankfurt (1771-1775) und entfaltete dort bereits seine dichterische Kraft. 1775 wurde er an den Hof des Herzogs Karl August nach Weimar berufen und rückte hier schnell zum hohen Staatsbeamten auf. Die Verbindung mit Schiller (1794-1805) steht dann für den Höhepunkt des "klassischen Zeitalters" der deutschen Literatur. Seine anschließende "Altersepoche" verbrachte Goethe größtenteils ohne weitere dienstliche Verpflichtungen in Weimar.
Bereits 1815 hatte Goethe begonnen, seine Werke ein zweites Mal zu sammeln. 1825 begann er mit den Vorbereitungen zu seiner "Ausgabe letzter Hand", die er auf 40 zwischen 1827 und 1830 von ihm selbst besorgte Bände anlegte; 20 Bände kamen nach seinem Tod noch hinzu. Ganz abgesehen von Qualität und Umfang erscheint die vom Autor persönlich verantwortete und vermarktete Gesamtausgabe seiner Werke als Novum in der deutschen Literaturgeschichte. Ihre thematische - nicht chronologische - Ordnung zeigt Goethes Hand: Der Dichter wollte die "poetischen, rhetorischen, historischen und kritischen Arbeiten" entsprechend geordnet haben, wie er auch 1825 dem württembergischen König Wilhelm schreibt.
Eduard Mörike (1804-1875) gilt als Hauptvertreter des schwäbischen Biedermeier und zählt zu den bekanntesten Dichtern der deutschsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts. Er lebte und wirkte stets im Rahmen seiner schwäbischen Heimat; seiner unpolitischen Haltung entsprach eine Poesie der ländlichen "Idylle".
Seine Kindheit und Jugend verbrachte Mörike in Ludwigsburg und Stuttgart, in Tübingen studierte er Theologie. 1834 bis 1843 wirkte Mörike als Pfarrer in Cleversulzbach bei Heilbronn, von 1851 bis 1866 als Lehrer im Stuttgarter Katharinenstift. Sein literarischer Erfolg machte ihn jetzt bald über Württemberg hinaus bekannt. Neben zahlreichen Kontakten zu Künstlern und Literaten begann 1864 seine Freundschaft mit dem berühmten Maler Moritz von Schwind. Dieser illustrierte zahlreiche Werke Mörikes, darunter die "Historie von der Schönen Lau" (1868), noch immer eines seiner bekanntesten Stücke.