Sicherheitsbehörden und die extreme Rechte – eine Lesung aus „Staatsgewalt“
Mit ihrem Buch "Staatsgewalt – wie rechtsradikale Netzwerke die Sicherheitsbehörden unterwandern" ist die Journalistin Heike Kleffner aktuell auf Lesereise. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Matthias Meisner ist sie Herausgeberin des Sammelbandes, an dem 32 Autorinnen und Autoren mitwirkten.
Zur Lesung im Generallandesarchiv Karlsruhe am 20. März kam sie gemeinsam mit Seda Başay-Yildiz. Als Anwältin vertrat diese in der Nebenklage die Familie des NSU-Mordopfers Enver Şimşek. Seit 2018 erhielt sie immer wieder Morddrohungen gegen sich und ihre Familie, die mit "NSU 2.0" unterschieben waren. Seitdem steht Başay-Yildiz unter ständigem Schutz durch den Sicherheitsapparat – nach den Erfahrungen, die sie gemacht hat, ein "Akzeptieren". Wie die Opfer-Anwältin zu dieser kritischen Haltung kam und welche Erfahrungen sie gemacht hat, darüber schreibt sie im Vorwort zu "Staatsgewalt": "Konsequent konsequenzlos" heißt es. Sehr persönliche Worte, die sie an diesem Abend den Besucherinnen und Besuchern vorliest. Im August 2018 erhielt Başay-Yildiz ein erstes Drohschreiben, die Zeilen richten sich auch gegen ihre Tochter. Aus dem Schreiben geht hervor, dass der Verfasser über persönliche, nicht öffentlich zugängliche Informationen verfügt. "Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass die Daten in einem Polizeirevier in Frankfurt am Main abgerufen wurden und es weitere Drohschreiben – mit weiteren öffentlich nicht zugänglichen Informationen – geben wird. Deutsche Patrioten sollten sich um uns ‘kümmern’." Weiter liest sie: "Erst viele Monate nach dem ersten Drohschreiben erfahre ich aus den Medien: Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) weiß bereits im August 2018, dass unsere persönlichsten Daten im 1. Polizeirevier in Frankfurt abgerufen und zunächst eine Polizeibeamtin und später mehrere Beamte suspendiert wurden. Er weiß, dass diese Beamten in einer rechtsradikalen Chatgruppe aktiv waren." Başay-Yildiz liest wenige Monate später in der Presse davon, dass die Staatsanwaltschaft Frankfurt gegen Polizisten in Frankfurt die Ermittlungen aufgenommen hat. Der Hintergrund: rechtsextreme Inhalte in einer Chatgruppe. Der Ursprung dieses Verfahrens: ein anderes Verfahren, um genau zu sein, eine Strafanzeige. Başay-Yildiz wird hellhörig, gibt es da vielleicht einen Zusammenhang? Nein, teilte der Sachbearbeiter der Polizei ihr mit. "Es gebe keinen Zusammenhang – dieser Satz wird zum Mantra von Ermittlungsbehörden und Politik in einer Serie von Morddrohungen gegen viele Personen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen", liest Başay-Yildiz an diesem Abend mit einer besonderen Betonung vor.
Heike Kleffner liest ein Zitat der Polizistin und Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic aus "Staatsgewalt" vor, das die Missstände bei der Aufklärungsarbeit des Sicherheitsapparats deutlich macht: "Das sind ja alles Fälle, die nicht aufgetaucht sind, weil die Institutionen sie zutage gebracht haben im Sinne einer guten Führungskultur, im Sinne von Mechanismen, dass man solche Dinge entdeckt." Denn es sind häufig journalistische und antifaschistische Recherchen, die aufdecken, was die Sicherheitsbehörden nicht sehen oder was sie in ihren Strukturen nicht sehen wollen. Kleffner betreut gemeinsam mit dem Tagesspiegel-Journalisten Frank Jansen seit 2000 das Langzeitrechercheprojekt "Todesopfer rechter Gewalt". Auch hier sind viele Todesopfer nur gelistet, weil Journalistinnen und Journalisten sich die Fälle nochmals vorgenommen haben und den Zusammenhang zu rechtsmotivierter Gewalt damit aufdeckten. "Durch das Erstarken der extrem Rechten in diesem Land beobachten wir ein wachsendes Selbstbewusstsein rechtsextremer Richter, Staatsanwälte und Polizisten", sagt Kleffner. Mit ihrem Buch "Staatsgewalt", will sie sensibilisieren und fordert gleichzeitig dazu auf, nicht wegzuschauen und Missstände aufzudecken. "Wir wollen den demokratischen Polizistinnen und Polizisten den Rücken stärken, auch für sie ist dieses Buch. Sie sind die Mehrheit", sagt Kleffner an diesem Abend. Der große Saal im Generallandesarchiv ist bis auf den letzten Stuhl besetzt, circa 60 Besucherinnen und Besucher hören nicht nur zu, sondern viele von Ihnen nutzen auch die Gelegenheit, mit den beiden Autorinnen ins Gespräch zu kommen. Einer der Zuhörer aus dem Publikum fragt: Was kann noch getan werden und was sind die Konsequenzen? "Das Thema immer wieder und immer wieder publik machen", antwortet Başay-Yildiz, besonders, weil die justiziablen Mittel irgendwann aufgebraucht seien und nicht selten auf diesem Weg keine Konsequenzen erfolgten. Kleffner ergänzt: "Solche Veranstaltungen wie hier heute Abend zum Beispiel."