Transformation der Wiedergutmachung

Am 28. April fand im Staatsarchiv Ludwigsburg die Auftaktveranstaltung für die baden-württembergische Beteiligung am Aufbau des Themenportals Wiedergutmachung im Archivportal-D statt. Das Landesarchiv begründete damit mit dem Bundesfinanzministerium und FIZ Karlsruhe – Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur die langfristige Zusammenarbeit in diesem Bereich. In die Zuständigkeit der in der Vereinbarung im Landesarchiv neu begründeten Fachstelle zur Wiedergutmachung mit drei Stellen fällt die technische und fachliche Begleitung sowie Einbindung in den Gesamtrahmen des Archivportals-D. Die technische Implementierung, Betrieb und Support erfolgen beim Projektpartner FIZ Karlsruhe, womit die bisherige erfolgreiche Zusammenarbeit fortgeführt wird.

Das Landesarchiv Baden-Württemberg verfügt in seinen Beständen selbst über umfangreiche Unterlagen zur Wiedergutmachung. Allein im Bereich der Individualentschädigung sind über 120.000 Einzelfallakten überliefert, die über das Themenportal Wiedergutmachung online recherchierbar und zugänglich werden. Die forschungsbasierte und wissenschaftlich-technische Expertise der Partnerorganisation FIZ Karlsruhe auf den Gebieten Künstliche Intelligenz und e-Research eröffnet zudem ein breites Feld zukunftsorientierter Anwendungsmöglichkeiten im Bereich des Semantic Web.

Gemeinsame Pressemitteilung Bundesfinanzministerium, FIZ Karlsruhe und Landesarchiv am 28. April 2022
Pressemitteilung: Unterlagen zur Wiedergutmachung von NS-Unrecht werden digital zugänglich

Pilotprojekt zur Wiedergutmachung – Präsentation Nastasja Pilz, LABW
Archivische Herausforderungen und erste Ergebnisse am Beispiel des Pilotprojekts im Staatsarchiv Ludwigsburg

Pilotprojekt zur Wiedergutmachung – Präsentation Prof. Harald Sack, FIZ Karlsruhe
Unrecht erinnern – Untelragen zur NS-Wiedergutmachung werden digital

Am 1. Juni 2020 startete das vom Bundesministerium für Finanzen (BMF) geförderte Pilotprojekt zur „Transformation der Wiedergutmachung“ im Staatsarchiv Ludwigsburg mit einer Laufzeit von 36 Monaten. Das Projekt bildet den Auftakt für das groß angelegte Vorhaben des Aufbaus eines Themenportals Wiedergutmachung. Es untergliedert sich in drei Teile:

Das erste Teilprojekt umfasste die fachgerechte Erschließung des Sachaktenbestands StAL EL 350 II aus der Provenienz des bis 1992 bestehenden Landesamts für Wiedergutmachung in Stuttgart. Die Erschließungsarbeiten wurden im Oktober 2021 erfolgreich abgeschlossen und das Online-Findbuch veröffentlicht. Daneben wurden Einzelfallakten zu Entschädigungsverfahren testweise in verschiedenen Erschließungstiefen verzeichnet, um Arbeitsaufwände zu ermitteln und der archivübergreifenden Diskussion über die Erschließung der Wiedergutmachungsüberlieferung Erfahrungswerte an die Hand zu geben.

Im zweiten Teilprojekt wurden insgesamt gut 100 Meter Papierakten sowie ca. 150 Mikrofilmrollen zu individuellen Entschädigungsverfahren der Landesämter für Wiedergutmachung Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg und Tübingen digitalisiert. Auf Basis dieser Digitalisate werden in Kooperation mit dem Projektpartner FIZ Karlsruhe (Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur) automatische Verfahren der Text- und Mustererkennung (Machine-Learning-Verfahren) experimentell erprobt, um das Potential einer KI-gestützten Anreicherung von Erschließungs- und Normdaten sowie anderer zukunftsorientierter Anwendungsmöglichkeiten auszuloten.

In einem dritten Projektteil wurden Auswertungs- und Nutzungsszenarien der Wiedergutmachungsunterlagen eruiert. Um die Nutzung und das Verständnis der Wiedergutmachungsüberlieferung zu erleichtern, wurde ein Online-Rechercheratgeber mit einer Aktenbeschreibung und Nutzungshinweisen erarbeitet. Entwickelt wurden außerdem projektbezogene und dauerhafte Angebote der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, z. B. ein Webinar zur Nutzung von Wiedergutmachungsunterlagen und das Podcastprojekt „Sprechende Akten“. Im Rahmen mehrerer Thementage zur Wiedergutmachung werden die Ergebnisse und weitere themenbezogene Angebote im Herbst 2022 präsentiert.

Das Bundesministerium der Finanzen ist seit den frühen 1950er Jahren zuständig für die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland. Der Wiedergutmachungsbegriff umfasst alle Maßnahmen, die zunächst unmittelbar nach Kriegsende in den westlichen Besatzungszonen und später fortgeführt durch die Bundesrepublik Deutschland unternommen wurden, um die Folgen nationalsozialistischer Verfolgung finanziell zu entschädigen und entzogene Vermögenswerte zurückzuerstatten.
Neben der Globalentschädigung für Israel und andere Staaten konnten Millionen verfolgter Opfer des Nationalsozialismus bis 1969 auf gesetzlicher Basis Entschädigungs- und Rückerstattungsanträge bei den zuständigen Ämtern der westlichen Bundesländer vorbringen. Entschädigt wurden unter anderem Schaden an Leib und Leben, an Freiheit, an Körper und Gesundheit, Wirtschaftsschäden und Schäden im beruflichen Fortkommen. Rückerstattet wurden Vermögenswerte wie zum Beispiel Immobilien, Unternehmen, Wert- und Kunstgegenstände oder Barvermögen. Im Jahr 1980 wurde zusätzlich ein Härtefond eingerichtet, der Pauschalzahlung von umgerechnet 2.500 Euro für Holocaust-Überlebende vorsah, die keinen Antrag vor 1969 hatten stellen können. Vorher genannte ausgeschlossene Opfergruppen wie Angehörige der Sinti und Roma oder Zwangsarbeiter*innen wurden erst im Jahr 2000 durch die Stiftung „Erinnerung, Vergangenheit und Zukunft“ entschädigt.

Bis heute wurden umgerechnet ca. 80 Milliarden Euro an Wiedergutmachungsleistungen an die Opfer oder deren Hinterbliebene ausgezahlt.