Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts
Wiedergutmachung umschreibt alle Aktivitäten des deutschen Staates zum Ausgleich der Schäden, die den rassisch, religiös oder politisch Verfolgten in der Zeit des Dritten Reichs zugefügt worden waren. Grundsätzlich wird bei den Wiedergutmachungsbemühungen der Nachkriegszeit unterschieden zwischen der individuellen Entschädigung verfolgter Personen und der Rückerstattung von unter Zwangsmaßnahmen veräußerten oder widerrechtlich enteigneten Vermögenswerten an NS-Opfer.
Entschädigung
Bis Ende 1969 konnten Verfolgte oder deren überlebende Angehörige auf Grundlage des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) bei den zuständigen Landesämtern für Wiedergutmachung Entschädigung für erlittenes Leid und Verfolgung beantragen – z. B. in Form von Einmalzahlungen, dauerhaften Rentenzahlungen oder Kostenübernahme für gesundheitlichen Behandlungen. Beantragt werden konnte Wiedergutmachung u. a. für Schaden an Leib und Leben, Schäden an Körper und Gesundheit oder Schäden im beruflichen Fortkommen. Zahlreiche Ergänzungen des BEG erweiterten bis 1965 zudem die Gruppe der Anspruchsberechtigten ehe das Recht auf Entschädigung zum 31.12.1969 auslief.
Rückerstattung
Die Akten der Rückerstattung bieten vor allem Informationen über die Vermögensverteilung und den Vermögensentzug vor, während und nach der Zeit der NS-Diktatur und besitzen u. a. hohe Bedeutung für die Erforschung der Herkunft von Kunstwerken und anderen Kulturgütern (Provenienzforschung).
Dieser Bereich des Rechercheratgebers befindet sich noch im Aufbau.
Der vorliegende Rechercheratgeber möchte Ihnen dabei helfen,
- das Verfolgungsschicksal oder die Lebensgeschichte eines einzelnen Verfolgten des NS-Regimes in Erfahrung zu bringen, oder
- die Verfolgungsschicksale an einem Ort, in einer Gemeinde zu erforschen, oder
- nach einer bestimmten Verfolgtengruppe zu recherchieren, oder
- die Praxis, d. h. die Herausforderungen und Verfahrensweisen bei diesem Versuch der deutschen Verwaltung, nationalsozialistisches Unrecht auf finanziellem Wegen "wieder gut zu machen", zu erforschen.
Vertiefende Informationen über die Geschichte der Wiedergutmachungspraxis in Baden-Württemberg finden Sie auf der Seite LEO-BW.
Welche Unterlagen zur Entschädigung auf Grundlage des Bundesentschädigungsgesetzes können Sie im Landesarchiv Baden-Württemberg finden?
1. Einzelfallakten zu Entschädigungsverfahren
In Baden-Württemberg waren vier dem Justizministerium unterstellte Landesämter für Wiedergutmachung für die Bearbeitung der Entschädigungsanträge der im jeweiligen Regierungsbezirk ansässigen bzw. verfolgten Personen zuständig. Die Verfahren von der Antragstellung bis zum Entscheid wurden in Einzelfallakten dokumentiert. Die Inhalte ergänzen bzw. ersetzen die oft unvollständig erhaltenen oder gänzlich verloren gegangenen Unterlagen über Deportation, KZ-Haft und Vermögensentzug von Opfern des Nationalsozialismus.
Diese personenbezogenen Aktenbestände der Landesämter wurden seit Anfang der 1990er Jahre sukzessive von den zuständigen Archivabteilungen des Landesarchivs übernommen:
- Generallandesarchiv Karlsruhe 480 : Einzelfallakten des Landesamts für Wiedergutmachung Karlsruhe (aufgelöst 1969) für das Gebiet Nordbaden
- Staatsarchiv Freiburg F 196/1 und und F 196/2 : Einzelfallakten des Landesamts für Wiedergutmachung in Freiburg (aufgelöst 1961) für das Gebiet Südbaden
- Staatsarchiv Ludwigsburg EL 350 I: Einzelfallakten des Landesamts für Wiedergutmachung in Stuttgart (aufgelöst 1992) für das Gebiet Nordwürttemberg
- Staatsarchiv Sigmaringen Wü 33 T 1 : Einzelfallakten des Landesamts für Wiedergutmachung Tübingen (aufgelöst 1961) für das Gebiet Südwürttemberg-Hohenzollern
- Hauptstaatsarchiv Stuttgart EA 4/202-204: Einzelne gebietsübergreifende Verfahren mit Petitionen, Härtefallanträgen oder Revisionen aus dem Justizministerium
Informationen über mögliche Inhalte und Aufbau von Einzelfallakten der Wiedergutmachung finden Sie im PDF zur Aktenbeschreibung.
Bitte beachten Sie, dass im Falle personenbezogener Einzelfallakten sowohl im Bereich der Entschädigung als auch im Bereich der Rückerstattung teilweise noch Schutzfristen bestehen und eine Akteneinsicht nur unter Einschränkungen oder nicht möglich ist. Die Schutzfristen richten sich nach dem Geburts- bzw. dem Todesdatum der Person, auf die sich die Akte maßgeblich bezieht. Sie sind somit im Besonderen bei einer Antragstellung durch Nachkommen der NS-Opfer häufig noch nicht erloschen.
2. Verwaltungsakten zur Entschädigungspraxis
Bei den Landesämtern für Wiedergutmachung fielen neben den Einzelfallakten auch zahlreiche Verwaltungsakten an, die die Praxis und Verfahrensweise der Behörden dokumentieren und ebenfalls Hinweise zu Einzelfällen enthalten können. Auch diese Akten wurden und werden von den Staatsarchiven bewertet und in Auswahl übernommen:
- Staatsarchiv Ludwigsburg EL 350 II: Sachakten der Landesämter für Wiedergutmachung Stuttgart und Tübingen
- Generallandesarchiv Karlsruhe 480-1: Sachakten und besondere Einzelfallakten des Landesamts für Wiedergutmachung Karlsruhe
- Staatsarchiv Freiburg F 196/3: Sachakten des Landesamts für Wiedergutmachung Freiburg
- Staatsarchiv Sigmaringen Wü 40 T 31 Nr. 126-137; Wü 180 T 1 Nr. 177, Wü 2 T 1 Nr. 1433-1434: Sachakten des Landesamts für Wiedergutmachung Tübingen
Während die Verwaltungsaktenbestände in Karlsruhe, Freiburg und Sigmaringen nur wenige Meter umfassen, sind in Ludwigsburg annähernd 100 Meter Aktenmaterial überliefert. Dies hängt damit zusammen, dass das Landesamt für Wiedergutmachung in Stuttgart mit Abstand am längsten, nämlich bis 1992, existierte. Für Fragen zur Verwaltungspraxis bietet sich dieser Bestand daher als Startpunkt an.
In den Sachakten zu finden sind beispielsweise Akten über die Organisation und das Personal der Landesämter, Materialsammlungen, um die Schlüssigkeit von Verfolgungsschicksalen nachzuweisen, und Sammlungen von beispielhaften Urteilen in Wiedergutmachungsfragen. Auch Karteien, Verzeichnisse und Statistiken der Landesämter sind enthalten. Besonders die Karteien sind bei der Identifikation von Personen und zugehöriger Verfahren sehr hilfreich (s. Suche nach Wiedergutmachungsakten von Einzelpersonen). Im Laufe der Jahre 2022/2023 werden zudem die Personalakten der Landesämter in den Bestand Staatsarchiv Ludwigsburg EL 350 II übernommen.
Wussten Sie schon?
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) strebt an, innerhalb der nächsten Jahre einen zentralen, digitalen und international vernetzten Zugang zu Akten und Unterlagen der deutschen Wiedergutmachung zu schaffen. Die Umsetzung dieses Vorhabens erfolgt in Form eines Themenportals "Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts" im Archivportal-D, das neben dem digitalen Zugang zur Überlieferung der Wiedergutmachung weitere Bildungs- und Informationsangebote umfasst. Seit dem 1. Juni 2022 ist das Themenportal in der ersten Ausbaustufe online zugänglich und themenrelevante Bestände aus staatlichen Archiven erstmals unter einem Dach recherchierbar. Das Landesarchiv Baden-Württemberg ist als Partner am Aufbau des Themenportals beteiligt. Alle Informationen zum Gesamtvorhaben finden Sie der Projektseite.
Schreiben Sie uns gerne bei Fragen und Kritik zu den Rechercheratgebern eine E-Mail.