Die wahre Geschichte der Wertheimer Wasserleiche (1763)
Am 6. Oktober des Jahres 1763, es war ein Donnerstag, wurde am Ufer des Mains nicht weit von der Taubermündung eine Leiche gefunden. Man rief sogleich den Wertheimer Stadtamtmann Franz Sauer, der die Sache unverzüglich der Regierung meldete: Es ist vor 2 Stunden ein todter Mann die Tauber herunter geschwommen, welchen die hiesige Schiff-Leuthe unten bey der Linden jenseits der Tauber herausgezogen und auf das Land an das Ufer der Wiesen gelegt haben. [...] Der Cadaver fangt schon an zu verwesen ... .
Sauer hatte auch bereits Hinweise, um wen es sich bei der Leiche handeln könnte: Ein Schneider aus Sonderriet wurde seit 14 Tagen vermisst. Wie nun weiter?, wollte Sauer wissen. Die Leiche musste schließlich bewacht und identifiziert werden. So fragte der Stadtamtmann bei seiner Regierung an, und zwar in profundestem Respect erharrend, wie sich das damals gehörte.
Die Regierung handelt sofort. Noch am gleichen Tag, abends 7 Uhr, wird der Bürgermeister von Bestenheid angewiesen, drei Mann als Bewachung zu der Leiche zu schicken. Und der Schultheiß von Sonderriet soll sich am nächsten Morgen in aller Frühe mit Verwandten des verschwundenen Schneiders zur Identifizierung dort einfinden.
Wer war nun der tote Mann? Und wie war er ums Leben gekommen? Der nächste Tag sollte diese Fragen klären ...
Was sagen die Ärzte zu der Leiche?
Es ist der 7. Oktober, als der Arzt Dr. Assum sich mit dem Chirurgen Betschler auf den Weg zur Leiche macht. Diese befindet sich offenbar noch an Ort und Stelle (auf hiesigen Wörth, heißt es). Die Ärzte sollen im Auftrag der Wertheimer Regierungen untersuchen, ob man nicht Merkmale einer äußerlichen Verletzung finden moege- Aber sie können nichts feststellen: nicht die geringste Spuren einer äußerlich beschehenen Gewaltthätlichkeit weist der Körper auf. Er liegt allerdings auch schon länger im Wasser: Was man Widernatürliches antraf, kam alles von der Fäulnis her, welcher dieser todte Cörper schon starck unterworfen; maßen das Gesicht aufgeschwollen, die Haare am Haupt wegen der Verwesung gänzlich weg und wie abrasirt waren, der Unterleib war sehr dick und überhaupt ginge an der ganzen äußeren Fläche des Leichnams die cuticula (oberste Hautschicht) als faul ab und die unterliegende Haut war bereits auch in Fäulnis gegangen. Der Leichnam hatte bereits 14 Tage im Wasser gelegen, schätzten die Ärzte, an einer stillen Stelle, bevor ihn das Hochwasser des Vortags aufgespült und mitgenommen hatte.
Keine Spuren von Gewalteinwirkung also, sondern ein Unfall oder ein Suizid.
Hier lag die Leiche: am linken Ufer des Mains, unterhalb der Taubermündung, Richtung Bestenheid.
Als der Fall in der fürstlichen Regierung besprochen wurde, lag ein Bericht des Schultheißen aus Sonderriet vor, in dem es heißt, dass der Michel Adelmann daselbsten, seiner Profession ein Schneider, bereits vor 14 Tagen unter dem Vorwand, ein paar Ochsen zu kaufen, weg und auf Dörlesberg zu gegangen, seitdeme aber nicht mehr nach Hause gekommen seye.
Später hat man ihn in Reicholzheim im Wirtshaus gesehen, allda einen Tag und eine Nacht sich aufgehalten. Der Schultheiß hatte weiter gehört, dass der Adelmann sich aus Verzweiflung, weil seine Tochter mit einem sächsischen Soldaten durchgegangen und seiner contrahirten Schulden halber, in der Tauber zu Reichelsheim ersäuft habe. Und weiter: es seye solches um so mehr zu vermuthen, als er bereits bei Reichelsheim bey der Brücke an der Tauber im Morast gelegen und von einem Bettelmann herausgezogen und wieder in das Wirtshaus zu Reichelsheim gebracht worden seye. Zudem habe gedachter Adelmann auch dem Wirth daselbsten für die genossene Zech ein Stämmlein Tannenholtz schriftlich zugesichert, welches alles allerdings zu einer gegründeten Vermuthung, dass sich der Adelmann ersäuft habe, Anlass gebe, besonders weil die Freunde, welche vorhero vieles offenbart, nunmehro ganz still schweigen.
Eine Tochter durchgebrannt und drückende Schulden: dem Michel Adelmann war der Spaß am Leben vergangen. Als Abschluss wählte er eine finale Zecherei im Wirtshaus Reicholzheim. Geld hatte er keins mehr dabei, weshalb sich der Wirt einen Schuldschein geben ließ. Was mag Adelmann gedacht haben, als er ihm für die letzte Bewirtung einen Stamm Tannenholz zusagte?
Aber wie war Adelmann überhaupt in diese elende Lage geraten? Und war seine Tochter wirklich mit einem sächsischen Soldaten abgehauen? Was sagte seine Verwandtschaft zu der ganzen Misere? Dies alles erfährt man hier ab dem 2. April - natürlich aus den originalen Quellen.
Als gelernter Schneider hatte Adelmann keinen Beruf, in dem sich Reichtümer anhäufen ließen. Daneben hatte er eigenes Vieh und gar nicht einmal wenig Land, wie sich später zeigen sollte. Trotzdem geriet er mit seiner Wirtschaft über die Jahre immer tiefer in die roten Zahlen.
Nach seinem Tod wurden die Schulden zusammengestellt - irgend jemand musste sie schließlich bezahlen. Ganz oben stehen 40 Gulden, die er dem Wertheimer Chorstift schuldete. Dann läpperten sich kleinere Beträge zusammen: zwei Gulden für den Schmied Cronmüller, einen für den Metzger Schubert, einer Krämerin einen Gulden für ein Leinentuch, dem Juden Nathan von Wertheim einen Gulden wegen einer Geis. Neun Gulden Mäherlohn, drei für Arbeiten eines Schmieds. Krankheiten traten auf: beim Külsheimer Chirurgen stand Adelmann mit einem Gulden in der Kreide.
So kam eins zum andern.
Den größten Schuldenberg aber hatte Adelmann beim Külsheimer Juden Schmay angehäuft. 300 Gulden hatte er bar und durch gekauftes Vieh aufgenommen, davon nur 33 Gulden zurückgezahlt. Blieben 266 Gulden, amtlich bestätigt durch Schultheiß und Protokoll. Diese Verpflichtungen stammten noch aus den 50er Jahren. Der Schmay hatte den Adelmann auch schon auf Zahlung verklagt, zuletzt im Juni 1763, wobei die Regierung vermutete, bei derlei Schulden sei leicht auch Wucher im Spiel. Zurückgezahlt ist jedenfalls anscheinend vor Adelmanns Tod nichts worden, obwohl er, wie sich später herausstellte, so mittellos gar nicht gewesen war.
Bei den Untersuchungen nach Adelmanns Tod kam auch noch heraus, dass eine der drei Adelmann-Töchter nie ordentlich die Schule besucht hatte. Bei Bildungsdefiziten griff die Obrigkeit schon damals beherzt ein.