1498 und 1511
Die Menschen im späten Mittelalter litten unter vielen Ängsten. Seuchen, Missernten und Hungersnöte, gesellschaftliche Konflikte, Aufstände oder Glaubenskrisen galten als Anzeichen der kommenden Endzeit, des göttlichen Strafgerichts. Auch Missgeburten oder Kometen konnten als Vorboten des Weltuntergangs verstanden werden. Die "Offenbarung" (griechisch "Apokalypse"), das letzte Buch des Neuen Testaments, schildert in dramatischen Visionen den endzeitlichen Kampf zwischen Gut und Böse. Der Verfasser Johannes wurde mit dem Evangelisten Johannes gleichgesetzt. Nach der Bibel aufgestellte Zeitrechnungen erwarteten den Weltuntergang „nach der Zeit“ von 1000 Jahren oder einer weiteren "halben Zeit".
1498 veröffentlichte Albrecht Dürer (1471–1528) sein Buch mit großformatigen Holzschnitten in einer deutschen und einer lateinischen Ausgabe: "Die heimlich offenbarung iohannis" und "Apocalypsis cum figuris" ("Die Apokalypse mit Bildern"). Es war das erste Buch, das ein Künstler völlig in Eigeninitiative, ohne Auftrag und auf eigene Rechnung herausgab. Unterstützung erhielt er von der Druckerei Anton Kobergers (1445–1513), seines Taufpaten, in Nürnberg.
Die Bilder, an denen Dürer seit etwa 1496 arbeitete, sprengten alle Traditionen. Er erreichte im Holzschnitt ein äußerst differenziertes und bewegtes Strichbild, mit Kreuz-und Parallelschraffuren zur Wiedergabe von Material- und Tonwerten, wie es zuvor nur im Kupferstich möglich war. Diese technische Leistung trug wesentlich zur dynamischen Verdichtung bei, in der Dürer das dramatische und erschreckende Gesehen darstellen konnte. Dabei illustrierte Dürer jedoch die Erzählung nicht fortlaufend, sondern fasste mehrere Episoden in einer Szene zusammen oder stellte Motive um; Seine Bilderfolge hat eine eigene Dramaturgie.
1511 veröffentliche Dürer erneut eine lateinische Ausgabe, zusammen mit dem "Marienleben" und der "Großen Passion", bekannt als die "Drei großen Bücher". Das hier ausgestellte Exemplar entstammt nicht einer einheitlichen Ausgabe, sondern ist zusammengestellt aus Drucken "vor dem Text" und den drei Buchausgaben.
Dürer hat die Buchausgaben von 1498 in zwei Sprachen auf breite Rezeption hin angelegt. Mit großem Erfolg: er wurde schlagartig berühmt in Europa, und die "Apokalypse" blieb ein kommerziell ertragreiches Werk. Sie gilt als eines der innovativsten und folgenreichsten Kunstwerke, vergleichbar Leonardo da Vincis "Abendmahl". Die "apokalyptischen Reiter" sind heute eines der bekanntesten Bilder überhaupt. Dürers Bildfolge blieb für Jahrhunderte die vorbildliche Version der Apokalypse. Schon zeitgenössische Künstler reagierten darauf. So nahm Jerg Ratgeb in seiner Zeichnung den Engel, der Satan einschließt, als Vorlage für "Christus als Bezwinger des Teufels" (vgl. I.10).
Konnte die Reformation die Menschen aus solchen Ängsten befreien? Albrecht Dürer jedenfalls schrieb 1520 an Georg Spalatin (1484–1545), Beichtvater und Berater Kurfürst Friedrichs des Weisen von Sachsen: Und hilf mir Gott, dass ich zu Doktor Martinus Luther kumm, so will ich ihn mit Fleiß kunterfeten und in Kupfer stechen zu einer langen Gedächtnüs des christlichen Manns, der mir aus großen Ängsten geholfen hat.
Die ersten vier Siegel sind geöffnet. Von einem Engel dirigiert, werfen die vier apokalyptischen Reiter – von Dürer zu einer aktionsgeladenen Reiterphalanx zusammengefasst, die sündige Menschheit nieder. Der vorderste Reiter mit Pfeil und Bogen bedeutet die Pest, der zweite mit dem Schwert den Krieg, der dritte mit der Waage Teuerung und Hunger infolge von Missernten. Auf einem mageren Klepper folgt der Tod und schaufelt mit der Mistgabel die Menschen in den Höllenschlund; zuerst einen Kaiser, danach alle anderen Stände.