III. Martin Luther und seine Ausstrahlung im deutschen Südwesten
Das öffentliche Auftreten des Augustinermönchs Martin Luther, der mit seinen Thesen und Schriften gegen den Ablasshandel seit Ende 1517 breite Aufmerksamkeit erreichte, wurde auch im deutschen Südwesten intensiv verfolgt. Bereits Luthers Heidelberger Disputation, sein öffentlicher Auftritt bei seiner Ordenskongregation vor zahlreichen Theologen und Studenten 1518, muss mächtigen Eindruck hinterlassen haben, zählten doch bald zahlreiche Teilnehmer gerade aus dieser Region zu seinen Anhängern und Schülern.
Auch Luthers Weigerung, seine Lehrsätze zu widerrufen, seine öffentliche Verbrennung der Bannandrohungsbulle des Papstes und der standhafte Eindruck auf dem Reichstag in Worms 1521 vor Kaiser Karl V. hatten sein Renommee noch verstärkt. Der so vollzogene, öffentliche Bruch mit der römischen Kirche brachte Martin Luther in weiten Teilen der Bevölkerung Sympathien ein; er wurde bald wie ein Held, ja gar wie ein Heiliger verehrt.
Die durch den Buchdruck schnell verbreiteten Schriften Luthers und seiner Anhänger fanden gerade auch in Südwestdeutschland großen Absatz; seine programmatischen kirchenpolitischen und theologischen Texte ebenso wie seine Bibelübersetzung. Der aus dem pfälzischen Städtchen Bretten stammende Philipp Melanchthon spielte dabei eine wesentliche Rolle für die Vermittlung humanistischer Gelehrsamkeit in Verbindung mit der neuen Lehre. Melanchthon sollte schließlich auch das Augsburger Bekenntnis der evangelischen Reichsstände formulieren, das 1530 die Entwicklung des Luthertums zur selbstständigen Kirche vorzeichnete.
In dem inzwischen unter kaiserlicher Hoheit stehenden Herzogtum Württemberg wurde die evangelische Lehre Luthers indessen gewaltsam unterdrückt. Auch zahlreiche Mandate des Kaisers und seines Bruders Erzherzog Ferdinand zeigen das religiöse Aufbegehren der Bevölkerung gegen ihre altgläubige Obrigkeit an; die Anhänger der neuen Lehre wurden als "Sektierer" verfolgt.
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III.2 Martin Luther: Ein Sermon oder Predig von dem ablasz vnd gnade
Der Basler Nachdruck der ersten, ausdrücklich auf die Ablassthematik bezogenen Flugschrift Luthers (1517) wurde mit Holzschnitten zur Veranschaulichung ausgestattet. Der Titelholzschnitt zeigt einen gut gekleideten Mann auf dem Weg in eine Kirche. In der linken Hand hält er eine Rosenkranzkette – in diesem Zusammenhang wohl als Beispiel für den Erwerb des Ablasses durch verdienstliche Werke. Dem steht auf dem letzten Blatt die Darstellung der Kreuzabnahme Christi gegenüber. Die Marterwerkzeuge und Wundmale Christi sind deutlich erkennbar. Wahre Nachfolge Christi würde, so lautet die implizite Botschaft, Leiden ertragen und nicht den Nachlass des Leidens oder Ersatzleistungen suchen. Auch kann Gnade nur bei dem Gekreuzigten und nicht an besonderen Orten gesucht werden.
Luther betonte bereits in dieser Frühschrift die exklusive Autorität der Bibel als Bezugspunkt theologischer Erkenntnis und christlicher Existenz. Für den Ablass in der praktizierten Form fand er keinen biblischen Beleg. Die Kritik am Ablass und die Antwort mit dem Verweis auf das Wort Gottes waren durch die Sorge um die Gewissheit des Heils motiviert. Luther sah die Gefahr, dass der Ablass es den Menschen einerseits zu leicht mache, weil sie durch ihn trotz einer fragwürdigen Lebensführung in falscher Sicherheit belassen würden. Der äußere Vollzug von Riten konnte demnach an die Stelle echter Umkehr treten. Andererseits entstehe durch die Notwendigkeit von Bußleistungen zur Genugtuung eine falsche Unsicherheit, weil das Heil von menschlichem Tun abhängig gemacht werde. Beten, Fasten und Almosen sollten nicht als verdienstliche Werke zur Verkürzung der zeitlichen Strafen für die eigenen Sünden im Fegefeuer vollbracht werden. Vielmehr lag Luther an deren Begründung mit Liebe und Dankbarkeit.
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III.17 Ambrosius Fütter: Martin Luther
Ambrosius Fütter, ein nach derzeitigem Kenntnisstand anderweitig nicht dokumentierter Maler, schuf ein kleinformatiges Tafelgemälde mit dem Porträt Martin Luthers. Als Vorlage nutzte er eine Eisenradierung des Augsburger Künstlers Daniel Hopfer aus dem Jahr 1523, die wiederum den bekannten Kupferstich Lucas Cranachs d. Ä. von 1521 rezipiert. Hopfer fügte dem Porträt Luthers einen Strahlenkranz hinzu, der den Dargestellten als einen von göttlichem Licht durchdrungenen Doktor der Theologie ausweist. Der Strahlenkranz stellt in diesem Kontext eine Variante des in katholischer Bildtradition häufig auftretenden Heiligenscheins dar.
Die Bedeutung des Tafelgemäldes liegt in dem Umstand, dass Fütter den Strahlenkranz in Goldgrund rückübersetzte. Dieser war aufgrund seiner Eigenschaft, Licht in hohem Maße zu reflektieren, seit frühchristlicher Zeit in Mosaiken, Wandgemälden und Buchmalerei zur Darstellung von göttlichem Licht genutzt worden. Auf dieser metaphysischen Deutungsebene spielte neben der Kostbarkeit des Materials das damit verbundene Prestige eine nicht unbedeutende Rolle. So zeichnete das Material Darstellungen von Herrschern ebenso aus, wie es für die Gestaltung von Heiligenscheinen genutzt wurde. Ein goldener Grund konnte darüber hinaus das sich entfaltende Bildgeschehen in himmlischen Sphären verorten.
Erstaunlich ist Fütters Rückgriff auf diese tradierte Bildsprache zu einem Zeitpunkt, an dem im katholischen Kontext der Goldgrund nicht mehr für Darstellungen dieser Thematik verwendet wurde. Dieser gibt sich zwar als ein der katholischen Darstellungskonvention verhaftetes Bildelement zu erkennen, zugleich belegt er jedoch, dass Fütter die Botschaft des Hopfer-Stiches verstanden hatte und sie in ein malerisches Äquivalent zu transferieren wusste. Der Goldgrund erfährt eine konfessionell spezifizierte Umdeutung.
Auftraggeber des Tafelgemäldes war der fuggerische Bergmeister in Schwaz in Tirol. Dies belegt die rückseitig angebrachte Inschrift mit dem Wortlaut: Das ißt des martinus Lutter getreu gebild ⁄ nüs wie maister hopffer bei sein leben hat ⁄ gschaffet nach ihmen dieß hat gemacht ⁄ Ambrosius fütter dem fuggerischen berg ⁄ maister ze schwatz. a. d. MDXXX. ⁄ Daß Gott mir helf!
Fütter verleiht darin der Annahme Gewicht, dass der Schöpfer seiner Vorlage das Bildnis des Reformators "bei sein Leben", also "nach dem Leben" geschaffen hat. Mit diesem feststehenden rhetorischen Ausdruck konnte in der Frühen Neuzeit auch der bloße Anschein von Unmittelbarkeit und Lebendigkeit gemeint sein, der nicht zwingend mimetische Naturabschilderung einschloss, sondern zu dieser in einem Spannungsverhältnis stand. Der künstlerische Anspruch bestand darin, eine Person so darzustellen, dass sie lebendige Präsenz im Bild gewann.
Der Porträtierte tritt im Bild als der mit Lehrautorität ausgestattete Doktor und Universitätslehrer auf, der kraft seines Amtes und unter göttlicher Inspiration das Bibelwort verkündet. Er scheint für alle Zeiten leibhaftig in wahrer Gestalt präsent zu sein als ein Gegenüber, mit dem der Betrachter auch über die zeitliche Distanz hinweg in einen Dialog eintreten konnte. Diese Bildintention verweist ebenso wie das kleine Format des Gemäldes auf seine Funktion als protestantisches Andachtsbild für den privaten Gebrauch.
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III.18 Reisewege Martin Luthers durch den deutschen Südwesten
Mehrere lange Reisen führten Martin Luther bereits in frühen Jahren in bzw. durch den deutschen Südwesten – das Herzogtum Württemberg freilich berührte er dabei nur am Rande. Auch Luthers Reise zur Heidelberger Disputation 1518 verlief auf bekannten und geläufigen Fernstraßen. Mittlerweile durch seine Thesen gegen den Ablass bereits öffentlich aufgefallen, erreichte Martin Luther Heidelberg von Wittenberg aus über Coburg, Würzburg und Miltenberg am Main. Sein Rückweg führte ihn dann über Würzburg und Erfurt wieder nach Wittenberg zurück.
Luthers bekannteste Reise, die er dann schon als berühmter Mann 1521 zum Reichstag nach Worms machte, nahm von Wittenberg bis Erfurt denselben Verlauf und führte dann über Frankfurt und Oppenheim nach Worms. Der Rückweg verlief ab Frankfurt nördlich davon bis zur Wartburg bei Eisenach
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III.19 Reiselöffel Martin Luthers
Löffel, insbesondere Silberlöffel, gehören in Mitteleuropa vom 17. bis 20. Jahrhundert zu den gängigsten Memorabilien aufgrund ihrer körpernahen Verwendung und der Möglichkeit, sie mit Inschriften zu versehen.
Heute noch erhalten ist ein aufklappbarer Reiselöffel, den Martin Luther wohl um 1525 seinem Mitarbeiter Johann Caspar Aquila (Adler, 1488–1560) schenkte. Aquila, geboren in Augsburg und in Ulm zur Schule gegangen, studierte ab 1513 in Wittenberg und war dann dort ab 1523 Prediger an der Schlosskirche. Er gehörte zum engsten Vertrautenkreis Luthers und arbeitete 1524 bis 1527 bei der Übersetzung des Alten Testaments mit. Bei seinem Tod 1560 hinterließ er das wertvolle Geschenk Luthers. Unter Aquilas Nachkommen wurde dieses außerordentliche Gedenkstück bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts weitergegeben, dann kam es in den Besitz der preußischen Könige, welche es schließlich der Stadt Eisenach übereigneten.
Klapplöffel gibt es seit der Antike, doch haben sich nur wenige mittelalterliche Exemplare aus Mitteleuropa erhalten, und das trifft auch noch für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts zu. So kann es nicht verwundern, dass es zum Klapplöffel Luthers heute keine zeitgenössischen Vergleichsstücke gibt, auch wenn es solche in größerer Zahl gegeben haben dürfte.
Als Objekt des täglichen Gebrauchs war der Löffel dabei nicht nur Essgerät, sondern er diente auf äußerst praktische Weise dem Überleben für Mensch und Seele. Das beginnt bei der Ausformung des Feststellschiebers des Klappmechanismus als Basiliskenkopf zur Abwehr des Bösen. Ob diese letztlich christlichen Ursprungs war oder nicht, spielt hier keine Rolle, da sie durch die Kruzifixgravur der Laffe als Hinweis auf die Ursache göttlicher Gnade und damit allen Heils konkretisiert wird. Ganz praktischer Art war daneben der Einschluss eines Hornplättchens in der Laffe, welches nach weit verbreiteter Überzeugung durch Verfärbung Gift in der Speise anzeigen sollte und somit den besonderen Gefahren auf Reisen entgegentrat. Dass auch Luther selbst mehrfach durch Gift bedroht war, macht diesen ungewöhnlichen Bestandteil beachtenswert.
Schließlich diente die durchbrochene kugelige Kapsel als Aufsatz des Löffelstiels nach Art eines Bisamapfels der Aufnahme wohlriechender Blüten oder Gewürze, somit ebenfalls der materiellen Abwehr gegen Ungemach. Selbst die Pest glaubte man mithilfe der Bisamäpfel fernhalten zu können. So verfolgt der Reiselöffel Luthers über die Nahrungsaufnahme hinaus die Sicherung des Reisenden.
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III.22 Johannes Magenbuch: Ain Sendbrief von aym jungen Studentten zu Wittemberg (Audio und Edition)
Die Universität Wittenberg übte mit ihren Professoren Martin Luther und Philipp Melanchthon eine große Anziehungskraft aus. So studierte auch Johannes Magenbuch (1487–1546) aus Blaubeuren ab 1518 in Wittenberg die freien Künste (artes liberales) sowie Medizin. In diesem Umfeld wurde er ein überzeugter Anhänger der Reformation. Seine Eltern machten sich Sorgen um sein Seelenheil und teilten ihm dies brieflich mit. Das Antwortschreiben hatte einen über das Persönliche hinausreichenden Charakter und wurde deswegen durch die Drucklegung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Magenbuch stellte die Unüberwindbarkeit der Wahrheit heraus. Wenn Gott für sein Wort einstehe, könne und solle man nicht dagegen ankämpfen. Die faktische Wirkung der Heiligen Schrift diente Magenbuch als Erweis ihres Wesens als Wort Gottes. Er fasste die Grunderkenntnis Luthers im reformatorischen Motto zusammen: gottes wort mueß ewigklich bleiben.
Der Titelholzschnitt spielte mit der Pfingstszene wohl auf die Erleuchtung durch die reformatorische Theologie an. Die Titeleinfassung im Stil der Renaissance hatte dagegen rein ästhetische Zielsetzungen.
Ain Sendbrief von aym Jungen Studentten zů Wittemberg ⁄ an seine oeltern im land zů Schwaben von wegen der Lutherischen leer zů geschriben. […]
Frundtliche trew und als gůts zů vor liebe můter, ich hab deine brief […] mit fredenn empfanngen ⁄ Schreybst mir grossen Jammer und not von dem Luther ⁄ wie man in und die von Witemberg überfallen und und belegern werd […] liebe můter bedarffstu mein noch unnsers Doctor Lutthers ⁄ Noch der von Wittemberg ⁄ ganntz kayn Sorg haben fürchten sich noch nit ⁄ und verhoff in Got ⁄ in disen laeuffen hye sicherer zů sein ⁄ dann jm land zů schwaben ⁄ darffst dich nie bekümmeren ⁄ dz man vil von in sagt ⁄ es ist darumb nit alles war ⁄ man leügt doch von ainem dorff in das annder ⁄ solt man dann nit von Sachssen in Schwaben dürffen liegen ⁄ es geschicht darumb nit alles ⁄ das die zornigen widerstreitter Euanngelischer leer für sich nement ⁄ Got lebt auch noch […]
Got wirt seynner goetlichen warhait ⁄ das ist das hailig Euangelium welliches der Luther und die von Wittemberg verthedygendt ⁄ beysteen und erhalten ⁄ dann Gottes wort můß ewigklich bleiben ⁄ und wann gleich noch Tausent anttechrist darwider werendt ⁄ so werden sy dannocht Got nyt aussz dem himel stossen […]
Wyls hye darbey lassen bleib ⁄ ist auff dyssz mall genůg liebe můter ⁄ das du wyssest ⁄ wie wir allain durch den glauwben ⁄ vertrauwen vnd zůuersycht zů Gott ⁄ on all vnnsern verdyennst⁄vnnd gůtte werck ⁄ auffz lautter genad vnnd Barmmhertzigkait Gottes selig werdennt […]
der gleichen wyssedt ich auch ain gůt kunst für mich ⁄ das du meinen lieben vatter fleissyg bettest ⁄ das er mich lenger zu Wittemberg ließ […] biß das neüw Testament so von Doctor Martin verteütsch worden ist ⁄ vnd […] bey dir geleßen werden […].
Introitus "Resurrexi"
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III.26 Der Geiling–Codex
Johannes Geiling (* um 1495 in Ilsfeld, † 1559 in Großbottwar) war einer der ersten evangelischen Pfarrer in Württemberg und wirkte so maßgeblich an der Reformation im Herzogtum Württemberg mit. Inspiriert wurde er hierbei von Martin Luther, denn von 1515 bis 1520 studierte er in Wittenberg und lernte den Theologieprofessor persönlich kennen.
Der sogenannte Geiling–Codex wurde erst 1970 in der Bibliothek des Evangelischen Stifts in Tübingen entdeckt. Er trägt auf dem Titelblatt den Besitzvermerk est Ioannis Geilingii. In diesem Band sind mehrere Drucke verschiedener Schriften, vor allem von Kirchenvätern wie Eusebius und Chrysostomus, aber auch antike Texte von Cicero, zusammengebunden. Hier finden sich Randnotizen von Johannes Geiling, und zwischen die gedruckten Texte sind auch handschriftliche Notizen von Geiling eingefügt. Dabei handelt es sich um Mitschriften von Luthers Vorlesungen, aber auch um die Nachschrift einer frühen deutschen Predigt von Martin Luther, welche dieser vermutlich zwischen 1515 und 1517 gehalten hat.
Luther predigte hier über das Psalmwort: "Nicht uns, HERR, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre" (Psalm 115,1). Die aufgeschlagene Seite zeigt in roter Schrift folgenden Text: Ich hab gesaget, sol got gelobet verden und im dy er allain geben verden, so mussen mir uns gantz vornichten und vorachten, auch nichtes uff unß und unsere gutte verck bauen, allein sy got heimsetzen, das er mith mach, vas er vol.
Die Predigt ist somit in den theologischen Kontext von Römerbriefvorlesungen und der Auslegung der Bußpsalmen zu setzen und enthält eine Konzentration aller wichtigen Motive von Martin Luther, die er später in seiner Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" weiter ausführen sollte.
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III.32 Medaille auf Ferdinand I. und seine Frau Anna
Die Medaille zeigt auf ihren beiden Seiten den späteren Kaiser Ferdinand I. und seine Ehefrau Anna von Böhmen und Ungarn. Die Inschriften teilen mit, dass die beiden im Alter von 21 Jahren porträtiert wurden. Etwa zu diesem Zeitpunkt hatten sich Ferdinand und sein Bruder Karl V. auf eine Aufspaltung des Habsburgerreiches geeinigt. Der Kaiser erhielt den spanischen, Ferdinand den österreichischen Teil, zu dem auch Württemberg gehörte, das seit 1520 von den Habsburgern verwaltet wurde.
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III.33 Bildnis Kaiser Karls V.
Die große lateinische Inschrift nennt nicht nur den Namen (CAROLVS⁄Karl) und das Lebensalter des dargestellten Herrschers (AETATIS SVAE XXXI⁄Seines Alters 31), sondern auch seinen wichtigsten Titel: D(ei) G(ratia) ROM(anorum) IMP(erator) – Von Gottes Gnaden Kaiser der Römer. Der Zusatz SEMPER AVGVSTVS wird in Mittelalter und Früher Neuzeit mit "allzeit Mehrer des Reiches" übersetzt. All dies sind zwar geläufige Formeln, doch bezeichnen sie sehr präzise das Selbstverständnis Karls V. (1500–1558): In der Nachfolge des antiken römischen Reiches strebte er nach einem universalen Kaisertum. In zahlreichen Kriegen suchte er seine hegemoniale Stellung – er war König von Spanien und Deutschland, Erzherzog von Österreich, Herzog von Burgund, herrschte über die Niederlande und weite Teile Italiens – auszubauen, wobei er auf den Widerstand Frankreichs unter König Franz I. stieß und sich der andrängenden Türken erwehren musste.
Eine nicht minder große Herausforderung war die durchbrechende Reformation, durch die nicht nur die Einheit der Kirche, sondern auch des Reiches gefährdet war. Schon früh hatte sich Karl festgelegt, die alte Kirche mit allen Mitteln zu verteidigen. Auf dem Reichstag zu Worms 1521 war er dem rebellischen Martin Luther begegnet, dessen Lehre er, ohne sich wohl je eingehend damit zu befassen, erbittert bekämpfte.
1530 wurde zu einem entscheidenden Jahr: Zunächst ließ sich Karl in Italien durch Papst Clemens VII. zum Kaiser krönen. Karls Gottesgnadentum und seine Rolle als advocatus ecclesiae (Anwalt der Kirche) wurden durch diesen Akt unterstrichen. Im Bewusstsein seines nunmehr sakralen Herrschertums reiste Karl zum Reichstag nach Augsburg, wo er die protestantische "Confessio Augustana" zurückwies und meinte, die Glaubenseinheit durch Unbeugsamkeit wiederherstellen zu können. Doch ließ sich die Reformation nicht rückgängig machen. Durch die Gründung des Schmalkaldischen Bundes im Februar 1531 wurde der Protestantismus zu einem bedrohlichen Machtfaktor.
In dieser Situation entstand das vorliegende Porträt oder — sollte es sich um eine Kopie handeln — sein Vorbild. Es zeigt den Kaiser von der Brust aufwärts mit einer Dreiviertelwendung nach rechts vor grünem Grund. Karl trägt ein weißes gefälteltes Hemd mit ornamentiertem Stehkragen, darüber einen pelzbesetzten Rock aus Goldbrokat. Er ist geschmückt durch die Kollane und das Kleinod des burgundischen Ritterordens vom Goldenen Vlies und eine weitere Goldkette. Auf dem Kopf sitzt ein kleines, von Schnüren mit Nestelspitzen durchzogenes schwarzes Barett. Körperliche Eigenheiten werden deutlich hervorgehoben: Das rötliche Haar, die extreme Blässe des Inkarnats, die blauen Augen unter schweren Lidern, der bei Karl scheinbar stets offene Mund mit großer Unterlippe, das mächtig vorstehende, für die Habsburger charakteristische Kinn, der schüttere Kinn und Schnauzbart. Nicht klassische Idealisierung im Sinne der Renaissance wird hier angestrebt. Vielmehr geht es um eine manieristisch zu nennende Zuspitzung der Individualität.
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III.34 Das Wormser Edikt Kaiser Karls V.
Der Einblattdruck des Wormser Edikts Kaiser Karls V. vom 8. Mai 1521 besteht aus drei aneinandergeklebten Folioblättern; die Kleberänder sind kaum sichtbar. Dadurch erreicht es eine beeindruckende Länge. Außerdem trägt es eine auffällige Überschrift, die durch Verzierungen über den Lettern hervorgehoben wird. Auch die W–Initiale ist prächtig gestaltet. Damit dürfte schnell klar geworden sein, dass es sich hierbei um einen wichtigen Erlass des Kaisers handeln musste.
Diesem Wormser Edikt vorausgegangen waren die Exkommunikation Martin Luthers durch Papst Leo X. im Januar 1521 und Luthers Weigerung auf dem Reichstag zu Worms im April, seine Lehre zu widerrufen. Daraufhin erklärte Kaiser Karl V. damit Luther zum Ketzer und verhängte die Reichsacht über ihn. Karl gebot allen Einwohnern des Reiches, Das Yr den vorgemelten Martin Luther. Nit Hauset ⁄ hofete. Etzt Trencket noch endthaltet. noch yme mit worten oder Wercken ⁄ Haimlich noch Offentlich kaynerlei hilff. Anhang ⁄ Beystandt ⁄ noch fürschub beweiset. Sond wo Yr yne alßdann ankomen vnd betretten vnd des mechtig sein moegt ⁄ Yn fencklichen annemet ⁄ vnd anzaiget ⁄ vnd vns wolbewart zuosendet.
Außerdem bestimmte Kaiser Karl V., dass Luthers Schriften nicht mehr gekauft, verkauft, gelesen, abgeschrieben, gedruckt oder anderweitig verbreitet werden durften, sie sollten hingegen verbrannt werden.
Obwohl das Wormser Edikt als Einblattdruck rasch im ganzen Reich bekannt gemacht werden konnte, erfüllte sich die Hoffnung, Luther in Gewahrsam zu nehmen und damit die weitere Ausbreitung der lutherischen Ideen verhindern zu können, nicht. Luther wurde von seinem Landesherrn, dem Kurfürsten Friedrich III. von Sachsen, auf die Wartburg in Sicherheit gebracht und begann dort damit, das Neue Testament ins Deutsche zu übersetzen.
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III.38 Mandat Erzherzog Ferdinands an alle Einwohner Württembergs, die Stadt Reutlingen zu meiden
In der Reichsstadt Reutlingen hielt der Prädikant Matthäus Alber am 14. August 1524 die erste Messe in deutscher Sprache und reichte das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Zehn Jahre vor der Einführung der Reformation in Württemberg erregten diese Handlungen weit über die Stadtgrenzen hinaus im Herzogtum Aufsehen und zogen eine harsche Reaktion des Landesherrn Erzherzog Ferdinand nach sich.
In dem eigenhändig unterzeichneten Mandat vom 18. September 1524 erläutert Ferdinand, dass Bürgermeister, Rat und Gemeinde Reutlingens bereits ain gute Zeit her ainen Prediger [Matthäus Alber] aufenthalten, der daselbst zu Reutlingen durch sein Luterische faction vilerlay unrat gestift, […] offenntlich dewtsch meß gelesen, und das Sacrament […] wider ordnung der Cristenlichen Kirchen geraicht.
Weder die Stadt noch Alber selbst zeigten sich allerdings auf mehrmalige Ermahnungen hin einsichtig, weshalb Ferdinand nun allen Einwohnern Württembergs befiehlt, das Jr die obbemelt Statt Reutlingen und Inwoner derselben, auch den Prediger obangezaigt […] in allen sachen meidet, dahin oder zu Inen nit ziehet, noch ainicherlay gemainschaft oder hanndlung mit den Inwonern derselben Statt haltet […]. Im Falle eines Verstoßes gegen diese Anordnung droht er massive Strafen an.
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III.39 Die Bannandrohungsbulle des Papstes: Exsurge Domine
"Erhebe dich, Herr, und richte deine Sache […], denn Füchse haben sich erhoben, die danach trachten, den Weinberg zu zerstören […]. Ein Wildschwein aus dem Wald strebt danach, ihn zu entstellen und ein unerhört wildes Tier frisst ihn ab." So beginnt die als Schlüsseldokument der Reformation geltende Bannandrohungsbulle Exsurge Domine Papst Leos X., mit der er Martin Luther die Exkommunikation androhte. Die drei erhaltenen Originale liegen in Stuttgart, Dresden und Wien.
Exsurge (in den Originalen Exurge) Domine ist das bekannteste Exemplar einer Bannandrohungsbulle. Nur wenige solcher Bullen wurden überhaupt ausgestellt; denn es handelt sich lediglich um eine Vorstufe zur Bannbulle, mit der eine Lehre verurteilt oder eine Exkommunikation ausgesprochen wird. Die Bannandrohungsbulle für Martin Luther stellt einen wichtigen Schritt in seinem 1518 begonnenen Häresieprozess vor der römischen Kurie dar.
Im ersten Teil der Bulle werden Luthers Lehren, im zweiten seine Schriften verdammt, und zwar mit sofortiger Gültigkeit. Der Schlussteil erläutert die Folgen für Luther und seine Anhänger. Eigentlich wäre, darauf wird ausdrücklich hingewiesen, schon mit Luthers Nicht–Erscheinen vor der Kurie die Voraussetzung für ein Vorgehen gegen ihn als Häretiker erfüllt gewesen. Leo X. gewährt ihm jedoch eine Frist, er lässt Milde walten. So fordert der Papst nun Luther auf, die genannten Irrtümer öffentlich und rechtsverbindlich innerhalb von 60 Tagen nach Veröffentlichung der Bulle zu widerrufen. Erst bei Weigerung seien Luther und seine Anhänger als "notorische und hartnäckige Ketzer" zu betrachten und aus der Kirche auszuschließen. Damit die Erinnerung an ipsum Martinum aus der Gemeinschaft der Christen gelöscht werde, sollten seine Schriften verbrannt werden. Schließlich werden die geistlichen und weltlichen Obrigkeiten aufgefordert, Luther gefangen zu nehmen und an den Heiligen Stuhl auszuliefern. Jede Beherbergung und Unterstützung Luthers wird unter Androhung von Strafen streng verboten.
Exsurge Domine gehört zum Typus der Bullen im engeren Sinn, ist also eine feierliche, mit Blei besiegelte päpstliche Urkunde. Das Stuttgarter Exemplar ist mit 72 Zeilen das zweitgrößte der auf uns gekommenen Originale. Es handelt sich um eine hervorragend erhaltene Urkunde, die auf einem sorgfältig bearbeiteten rechteckigen Pergamentstück von 80 × 57 cm Größe parallel zur längeren Kante beschrieben wurde. Nach unten wird der Text durch einen Umbug (Plica) begrenzt. Das Bleisiegel des Stuttgarter Exemplars ist sehr gut erhalten, misst etwa 3,5 cm im Durchmesser und ist 0,5 cm dick. Die päpstliche Bleibulle zeigt auf der einen Seite die Köpfe der Apostel Paulus und Petrus, auf der anderen Seite den Namen, Titel und die Ordinalzahl des Papstes.
Ausgefertigt wurde die Bulle am 15. Juni 1520. Mitte Juli schickte Papst Leo X. zwei Nuntien, Johannes Eck und Hieronymus Aleander, mit dem Auftrag zur Verbreitung und Umsetzung der Bannandrohungsbulle nach Deutschland. Ihnen wurden Originalausfertigungen der Bulle mitgegeben.
Die Publikation der Bulle an der Peterskirche und der päpstlichen Kanzlei am Campo dei Fiori erfolgte am 24. Juli 1520; am 21., 25. und 29. September 1520 wurde die Bulle in Meißen, Merseburg und Brandenburg angeschlagen. Somit galt die Bulle als veröffentlicht.
Nachdem der in Exsurge Domine geforderte Widerruf der Thesen nicht erfolgte, sondern Luther vielmehr seine Ansichten in lateinischen wie deutschen Schriften verteidigte und bekräftigte, inszenierte er seinen endgültigen Bruch mit Rom. Nach Ablauf der 60–Tage–Frist verbrannte Luther gemeinsam mit Dozenten und Studenten der Universität am 10. Dezember 1520 in Wittenberg ein Druckexemplar der Bulle. Der Ablauf der Widerrufsfrist zog zwangsläufig die Exkommunikation nach sich.
Mit der Bannbulle Decet Romanum Pontificem vom 3. Januar 1521 wurde der in Exsurge Domine angekündigte Bann über Luther verhängt, er und seine Anhänger zu Häretikern erklärt. Dies wiederum hatte die Reichsacht zur Konsequenz, aber in diesem Fall nicht, wie gewöhnlich, direkt, sondern erst im Anschluss an das Verhör Luthers auf dem Reichstag zu Worms. Damit war die bisher bestehende Einheit, die auf den Kirchenbann die Reichsacht folgen ließ, aufgegeben worden. Erst mit dem Wormser Edikt Karls V., das am 8. Mai 1521 in Kraft trat, war Luther auch zu einem vom Reich Geächteten geworden.