XIV. Ideale und Überzeugungen
Der Einsatz für Demokratie, Humanität, Gleichberechtigung und ein unerschütterlicher Glaube an den Rechtsstaat kennzeichnen das Leben Ludwig Marums. Schicksalhaft ist, dass ausgerechnet dieser Einsatz für Schwächere und Benachteiligte und sein Festhalten an Recht und Gesetz sowie die Zugehörigkeit zum Judentum ihn früh das Leben kosten sollten. Wenn sein Name heute für Zivilcourage, Mut und Verantwortung steht und Preise unter seinem Namen verliehen werden, so sollen damit auch Marums unerschütterliche Ideale und Überzeugungen neue Aufmerksamkeit und vor allem eine neue Wertschätzung erfahren.
Seine Kindheit ist auch aufgrund des frühen Todes seines Vaters gekennzeichnet von Armut und Mangel. Sie war geprägt von orthodoxen Riten seiner jüdischen Herkunft, auch wenn seine Familie ihre religiöse Zugehörigkeit nur noch an hohen Feiertagen pflegte. Trotzdem fühlt sich der junge Marum der jüdischen Minderheit, die sich in immer stärkerem Assimilationsbestrebungen an die christlich-deutsche Mehrheitsgesellschaft befand, stets verbunden. Sein Gerechtigkeitssinn, auch aus dieser früh erfahrenen Außenseiterposition heraus, veranlasste den ehrgeizigen Schüler, Jura zu studieren. Geprägt von sozial engagierten Hochschullehrern nahm er bereits früh den wilhelminischen Obrigkeitsstaat kritisch unter die Lupe. Auch sein starker Wille, dem Antisemitismus entgegen zu treten, ließ ihn, den Akademiker jüdischer Herkunft, in die SPD eintreten. Die Anliegen der Arbeiterschaft machte er sich zueigen, trat vehement für eine Demokratisierung, für das allgemeine Wahlrecht und das Frauenwahlrecht ein. Schnell galt der Jurist in seiner Partei als ausgezeichneter Verfassungskenner - sie zu reformieren, war für den späteren Politiker Marum eine Lebensaufgabe.
Dass Marum seinen Grundsätzen treu blieb, ein Verfechter der sozialen Gerechtigkeit nicht nur in Worten sondern auch in der Tat war, konnte er in seinem Beruf als Rechtsanwalt unter Beweis stellen. Mandanten aus der Arbeiterschaft vertrat er hin und wieder kostenlos. Er stand für eine liberales Strafrecht und auch sein Umgang mit Angestellten war - so ist überliefert - von humanem, freundlichem und großzügigem Geiste. Dies spiegelte sich auch in der Erziehung seiner drei Kinder wieder: Marum galt als warmherziger, großzügiger und liberaler Vater und liebte zugleich einen gelassenen, gemütlichen und großbürgerlichen Lebensstil.
Dass er mit gerade 31 Jahren bereits als einer der jüngsten Abgeordneten in den badischen Landtag einzog, bildete einen persönlichen Höhepunkt und zugleich Triumph für den steten Reformisten Marum. Es zeigt zugleich, dass Marum sich durch Fleiß, Fachwissen, rhetorische Fähigkeiten, aber auch ein gewisses Maß an Durchsetzungsvermögen früh in der Partei als Macher profilieren konnte. Landtagsprotokolle geben Zeugnis darüber, dass Marum es durchaus verstand, einerseits mit starkem Willen, andererseits immer auch kompromissbereit und mit gemäßigtem Ton, Einfluss auf die eigene Partei und den Landtag zu nehmen. Um so mehr als nach dem Ersten Weltkrieg die SPD in der Regierung Badens vertreten war und Marum das Amt des Justizministers übernahm. Er machte auch als Minister niemals einen Hehl aus seiner religiösen Zugehörigkeit, wenn er sich auch einer freireligiösen Gruppierung angeschlossen hatte.
Seine Kompromissbereitschaft und die Fähigkeiten zwischen zwei gegensätzlichen Interessensgruppen zu vermitteln machten ihn auch zum geschätzten Unterhändler zwischen der revolutionären Rätebewegung und bürgerlichen Kräften in Zeiten des Umbruchs nach dem Ersten Weltkrieg.
Politisch stand Marum für ein modernes, liberales und vor allem demokratisches Staatssystem ein: allgemeines Wahlrecht, auch für Frauen, Freiheitsrechte wie Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, aber auch Erwerbslosenfürsorge oder der Acht-Stunden-Tag - das waren die Ziele der SPD und es waren die Ziele Ludwig Marums, als Staatsrat und Fraktionsvorsitzender sowie als Reichstagsabgeordneter ab 1928. Republikfeinde von links und von rechts galt es fortan für den überzeugten Demokraten und Befürworter der Republik auf schärfste zu bekämpfen. Während er gesellschaftlich etabliert, sich in gastfreundlichem Hause mit Künstlern und Politikern umgab, widmete er politisch seine ganze Kraft der Festigung der Republik. Insbesondere der Kampf gegen den immer stärker werdenden Einfluss der Nationalsozialisten, und ein stetes Eintreten für einen unangefochtenen Rechtsstaat und für arbeiterfreundliche Gesetzesreformen waren die Hauptaufgaben Marums als rechtspolitischer Sprecher seiner Partei im Reichstag. Seine couragierte Wahlkampfrede kurz vor 5. März 1933 zeigt einerseits seinen Mut, den neuen Machthabern entschlossen entgegenzutreten, anderseits aber auch, dass der Optimist und Intellektuelle Marum den nationalsozialistischen Antisemitismus sowie die Durchschlagskraft von Hitlers Bewegung bis zu seinem Tod unterschätzte.