Kapitel 6. Parlament und Verfassung im Königreich Württemberg
Hatte der deutsche Südwesten beim Ausbruch der Französischen Revolution 1789 noch ein Bild der territorialen Zersplitterung geboten, wo sich mehrere hundert größere und kleinere weltliche und geistliche Herrschaften drängten, so sah die politische Landkarte zu Beginn des 19. Jahrhunderts ganz anders aus: nach dem Willen des Franzosenkaisers Napoleon waren vier Länder aus der territorialen Neugestaltung hervorgegangen: das Königreich Württemberg, das Großherzogtum Baden sowie die beiden kleineren Fürstentümer Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen. Die Einheit dieser "künstlichen" Staatsgebilde repräsentierte zunächst der regierende Herrscher, in Württemberg König Friedrich I. (1797-1816). Dieser hatte 1805 die altständische Verfassung Württembergs außer Kraft gesetzt und damit auch die lästige Mitregierung der Landstände beseitigt.
Unter Berufung auf den Tübinger Vertrag von 1514 und das "gute alte Recht" forderte die Bevölkerung Württembergs die Gewährung staatsbürgerlicher Rechte ein. Nach jahrelangen Verfassungskämpfen, begleitet von politischen Gedichten Ludwig Uhlands und anderer, kam schließlich unter König Wilhelm I. 1819 der angestrebte Verfassungsvertrag zustande - nicht als oktroyiertes Gnadengeschenk des Monarchen, sondern als einzige Landesverfassung jener Zeit auf gegenseitigen Vertrag gegründet.
Mehr Informationen zur Verfassung
Der Stuttgarter Landtag erlangte wie der in Karlsruhe als öffentliches Forum bald breite Popularität und fand etwa in Ludwig Uhland und Friedrich Römer berühmte Wortführer für politische Mitverantwortung und gesellschaftliche Freiheit. Die durch staatliche Zensur und Polizeigewalt provozierte Revolution von 1848 fand allerdings anders als in Baden im württembergischen Parlament nur schwachen Widerhall. Man beschickte die deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, nach deren Scheitern das Rumpfparlament nach Stuttgart flüchtete, wo es schließlich aufgelöst wurde.
In Fortführung der Ideale von 1848 sollten sich im späteren 19. Jahrhundert feste Parteiorganisationen entwickeln und die politische Partizipation Eingang in die breite Bevölkerung finden. Heftige Landtagsdebatten um die "großdeutsche" oder "kleindeutsche" Lösung der nationalen Frage Deutschlands wurden auch im Stuttgarter Halbmondsaal schließlich durch die deutsche Reichsgründung 1871 überflüssig. Danach sollten die Landtage im deutschen Südwesten stark an politischem Gewicht verlieren.