Der historische Hintergrund
Die historische Forschung zum Kriminalprozess gegen Joseph Süß Oppenheimer und seinen politischen Kontext
1. Peter H. Wilson (2004)
Als nun Karl Alexander nach seinem Regierungsantritt daranging, die herzogliche Autorität ohne Rücksicht auf Verluste wiederherzustellen und dabei die bestehenden Netzwerke regionaler und zentraler Klientelsysteme und Machtstrukturen zerriß, war es Süß, auf den sich die zunehmende Empörung der württembergischen Eliten in einem steigenden Maße richtete: Er avancierte zum Sündenbock. [*]
Süß‘ Festnahme am 13. März 1737 war Teil eines gewaltsamen Vorgehens von Amtsträgern und führenden Ständevertretern, welche die letzten Verfügungen des Herzogs zu boykottieren entschlossen waren und die bereits getroffenen Vorkehrungen für eine Übernahme der Regentschaft durch die Herzoginwitwe Maria Augusta von Thurn und Taxis (17ß6-56) und Bischof Karl Friedrich von Schönborn (1674-1746) außer Kraft zu setzen antraten. An ihrer Statt wurde ein Regent von der Aufständischen Gnade installiert, ein Angehöriger des protestantischen Zweiges des württembergischen Herrscherhauses. Süß indessen wurde zusammen mit anderen herzoglichen Ratgebern ein Schauprozess gemacht, dessen übergeordnetes Ziel darin bestand, die absolutistischen Bestrebungen aus der Regierungszeit Karl Alexanders zu diskreditieren und hingegen umgekehrt die nun zu treffenden Gegenmaßnahmen mit der entsprechenden Legitimation zu versehen. Ungeachtet des Mangels an Beweisen und unter offenkundigem Bruch württembergischer als auch der Reichsgesetze wurde Süß zum Tode verurteilt und in einer aufsehenerregend grotesken Exekution am 4. Februar 1738 gehängt. Die Leiche beließ man in einem eisernen Käfig, damit sie dort - unter aller Augen - verwesen sollte. Erst sechs Jahre später ordnete der neue Herzog Karl Eugen die Beisetzung von Süß‘ sterblichen Überresten am Fuße des Galgens an.
Nachhaltige Verleumdungen Süß‘ prägten bereits den Schauprozeß und haben spätere Deutungen seiner Laufbahn wesentlich beeinflußt. [*]
Süß hatte zwar wichtigen Anteil an den administrativen und finanziellen Reformen Karl Alexanders genommen, hatte dabei aber eher unterstützende denn weichenstellende Funktionen innegehabt. Dennoch wurde er um einer gewaltsamen Vergeltung willen von den lokalen Eliten ausgewählt, um als Sündenbock für ihren Widerstand gegen eine strengere Kontrolle und gegen die Zerstörung traditioneller Patronage-Netzwerke herzuhalten. Entscheidend war, daß diese Maßnahmen sowohl die zivilen Amtsträger als auch die Stände empfindlich berührten und sie dazu brachten, ihre Reihen zu schließen. Dies geschah zunächst im passiven Widerstand gegen die Politik Karl Alexanders und führte schließlich zum Staatsstreich nach seinem Tode. [*]
Süß‘ Einfluß rührte von seiner persönlichen Beziehung zum Herzog her und eröffnete Raum für Vorwürfe, denenzufolge er seine Stellung mißbraucht und sich auf Kosten des allgemeinen Wohls bereichert habe. [*] Man verurteilte ihn als Abbild des klassischen bösen Ratgebers, der seinen persönlichen Einfluß um des privaten Gewinns willen mißbraucht habe.
Zitat: Peter H. Wilson, Der Favorit als Sündenbock. Joseph Süß Oppenheimer (1698-1738), in: Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Michael Kaiser und Andreas Pe`c´ar (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 32) Berlin 20042. Gudrun Emberger (2001)
Im Mai 1737 wurde der eigentliche Kriminalprozess gegen Süß eröffnet, und von da an schien auch schon festzustehen, daß er zum Tode verurteilt werden sollte. Diejenigen, die im Machtkampf mit Herzog Karl Alexander so sehr auf den Gesetzesbuchstaben gepocht hatten, setzten sich nun selbst über Recht und Gesetz hinweg. Im Prozeßverlauf gab es fortwährend Rechtsbrüche. Über ihn richteten nicht unabhängige Richter, sondern seine alten Feinde aus der Regierung; man gewährte Süß nicht den von ihm gewünschten und ihm zustehenden auswärtigen unabhängigen Rechtsbeistand; dem von der Kommission bestellten Pflichtverteidiger Michael Andreas Mögling, obschon dieser gar keine Ambitionen hatte, sich für Süß allzu sehr zu verkämpfen, wurde die Arbeit erschwert. Jede Berufungsmöglichkeit wurde Süß genommen (als Jude hätte er sich an das Reichskammergericht in Wetzlar und an den Reichshofrat in Wien wenden dürfen); eine Klage seines Bruders Daniel Süßkind Oppenheimer beim Reichskammergericht auf sofortige Haftentlassung wurde nieder geschlagen, weil die Stuttgarter Regierung vorzeitig davon erfahren hatte und intervenieren konnte; eine juristische Fakultät einer Universität wurde nicht um ein Gutachten angegangen - Aktenversendung an unvoreingenommene Juristen war sonst in Württemberg bei schweren Kriminalfällen üblich gewesen - ; Zeugen wurden manipuliert, und so weiter und so fort.
Zitat: Gudrun Emberger, Joseph Süß Oppenheimer. Vom Günstling zum Sündenbock, in: Politische Gefangene in Südwestdeutschland. Hrsg. Vom Haus der Geschichte in Verbindung mit der Landeshauptstadt Stuttgart (Stuttgarter Symposion Schriftenreihe 9) 2001